Qual und die Angst

Wir saßen vor dem Fernseher und trugen unseren üblichen Wettbewerb aus – Wer zuckt, verliert! Dazu reihten wir die besten Streifen von George Andrew Romero und sonstige Filme, die ein “Dead” im Titel führten, vor dem DVD-Player auf und schauten sie uns nach und nach an. Bisher hatte Qual stets gewonnen, heute lag ich gut im Rennen. Bis er mich nach einer Zombie-scheint-endgültig-tot-zu-sein-ist-es-aber-doch-nicht-und-stellt-dies-mit-einem-gezielten-Biss-in-den-Hals-der gutaussehenden-Blondine-zur-Schau-was-den-endgültigen-Tod-der-Blondine-zur-Folge-hat-Szene mit Popcorn bewarf. Ich schrie peinlich laut, Qual grinste diebisch. “Kannst du dich überhaupt erschrecken?”, wollte ich gedemütigt wissen. “Wenn man tot ist, sieht man die Dinge entspannter. Abgesehen von deiner fehlenden Körperbeherrschung ist für mich also kaum etwas erschreckend”, erwiderte er, “dabei dürfte es euch eigentlich kaum anders gehen.” Ich rollte mit den Augen: “Was hat das jetzt wieder zu bedeuten?” Qual drückte auf Pause, im Standbild war der Zombie zu sehen, wie er sich mit den Eingeweiden der Blondine schmückte.

“Es ist doch so…der eigentliche Sinn des Angstgefühls, die Selbsterhaltung, ist bei euch Menschen doch kaum noch notwendig. In eurem Großstadtgehege kann im Vergleich zur Tierwelt nichts passieren. Ihr werdet höchstens von Kredithaien oder Baulöwen gefressen. Eure Angst hat sich transformiert, weg vom evolutionsbiologischen Hintergrund. Ihr sorgt euch meist nur, dass euer Idealbild von einem Leben in der Gesellschaft verfehlt wird. Ob nun in materieller oder sozialer Hinsicht. “Hoffentlich werde ich nicht gefeuert”, “Ich will nicht, dass mein Partner mich verlässt” oder “Bitte lass mich im Alter nicht fett werden”. Das, was bei Horrorfilmen zutage kommt, die Furcht vor starken Bildern, sind nur emotionale Rudimente aus der Zeit, als selbst der Mensch noch angreifbar war. Aber ihr entwickelt dafür in großem Maße Phobien, das ist beeindruckend. An sich gibt es nur zwei Arten von Angst: Bei der einen weiß man zu viel, bei der anderen zu wenig. Wenn ich mir überlege, wozu der Mensch in der Lage ist, dann habe vielleicht auch ich Angst…”

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Dampf ablassen!