Qual und die Zeit

“Kommst du nun mit zur Ausstellung?”, fragte Qual. “Nein, leider nicht. Ich hab noch was zu erledigen, die Arbeit muss bis morgen fertig werden”, sagte ich ohne meinen Blick vom Laptop zu wenden. Qual wirkte enttäuscht. “Wieso musst du auch so viel arbeiten?” Nun sah ich ihn doch an. “Du trägst ja nichts zur Miete bei, im Gegenteil. Außerdem ist es irgendwie ein schönes Gefühl, wenn man weiß, dass man sich etwas leisten kann.” Quals Gedanken in seinem Kopf schwirrten in diesem Moment wahrscheinlich so wie er durch die Küche herum.

Er erwiderte schließlich: “So sehr ich es auch genieße, mal den teuren Käse zu konsumieren, so missfällt es mir, dass du zurzeit eben keine Zeit hast. Es stimmt: Zeit ist Geld, weil du beim Arbeiten letzteres verdienst. Und das braucht man in eurer Gesellschaft in der Regel nun mal. Aber Geld ist nicht Zeit. Da liegt das Problem. Was bringt dem Menschen Reichtum, wenn er dafür Augenblicke unwiederbringlich verrinnen lässt? Wenn du alt bist, hast du vielleicht finanzielle Sicherheit, aber zu welchem Preis? Worauf hast du bis dahin verzichtet? Was du verpasst hast, kannst du mit keinem Geld der Welt zurückkaufen.” Er hatte Recht. Trotzdem musste ich ihn zumindest an diesem Tag vertrösten. “Ich bin ja noch kein Workaholic, keine Bange. Die Balance stimmt bei mir.” Qual schaute mich schief an. “Ach ja? Wann warst du denn das letzte mal beim Fußball? Wie oft holst du deine Lieblingseisenbahn aus Kindertagen vom Dachboden? Mit wem wolltest du dich mal längst wieder treffen?” “Na gut, Schachmatt. Was soll ich tun?” Qual nickte zufrieden. “Erst machst du dein Projekt fertig, die Pflicht ruft. Und morgen kaufst du neuen Käse. Nach der Arbeit kümmere ich mich dann um das Vergnügen. Betrachte mich als deinen persönlichen Zeitgeist”, sagte Qual augenzwinkernd.

FacebookTwitterGoogle+Email

Dampf ablassen!