Qual und ich waren einige Tage verreist und kamen erst eines Nachts spät wieder zurück. Müde von der Fahrt freute ich mich in erster Linie auf das Bett, während Qual, der als Geist nicht wirklich so etwas wie Müdigkeit verspüren kann und dies nur vorgibt wenn es im Haushalt etwas zu tun gibt, den in unserer Abwesenheit angehäuften Stapel Tageszeitungen durchlesen wollte. Ich schlüpfte in meinen neuen Schlafpyjama in Hello Kitty-Design, den Qual mir zu Weihnachten in Folge einer verlorenen Wette geschenkt hatte, und schloss die Augen.
Im Traum begegnete ich in einer äußerst gepflegten Gartenanlage einem weißen Elefanten. Er hieß Chang Phueak und sprach trotz seiner thailändischen Herkunft fließend französisch mit mir. Ich konnte ihm ebenso fließend antworten. Spätestens an dieser Stelle hätte ich merken müssen, dass ich das alles nur träume. Chang lud mich auf einen Drink im Königspalast ein, denn zufällig gehörte er Bhumibol Adulyadej, dem König von Thailand. Ich konnte nicht ablehnen, es wäre eine Kränkung gegenüber dem Gastgeber gewesen. In der pompös ausgestatteten Palastbar trafen wir auf einen grünen und einen rosanen Elefanten, die sich bereits an goldenen Futtertrögen bedienten. Mir wurde ebenfalls ein Trog vorgesetzt, allerdings war dieser kleiner als die anderen drei. Vier Affen im Smoking trugen ihn rasch und lautlos herein. Chang warf ihnen mit dem Rüssel eine Banane als Trinkgeld zu. Ich fuhr mit der Hand über den Trog und war überrascht, denn er war nur aus Holz. Auf meine nun goldenen Finger blickend stellte ich fest, dass die Farbe anscheinend erst kurz zuvor aufgetragen wurde.
„Wir haben hier auch keine Goldesel mehr“, sagte der rosane Elefant traurig. „Trotzdem lassen wir uns die Laune nicht verderben!“, ergänzte der grüne Elefant mit vollem Maul und ließ dabei etwas Minze und Eukalyptus herausfallen. Wir saßen allesamt im Schneidersitz und lauschten Rainer Maria Rilke, der sein Gedicht „Das Karussell“ seit sieben Stunden in Dauerschleife vortrug. Die Erschöpfung war ihm ins Gesicht geschrieben, es wurde abwechselnd grün und kreidebleich. Ich fragte: „Seit wann fressen Elefanten eigentlich Eukalyptus und Minze?“ Sofort hielt Stille Einzug im Raum. Nur das Schmatzen der Affen, die sich über die Trinkgeldbanane hermachten und dabei auch über die Aufteilung stritten, war zu hören. „Jetzt fliegt alles auf!“, schrie der rosane Elefant panisch, kippte sich einen ganzen Liter Wodka hinter und flog plötzlich davon. Er durchbrach die Holzverkleidung der Decke und steuerte Richtung Mond, der an diesem Abend besonders groß erschien.
„Und dann und wann ein weißer Elefant“, seufzte Rilke und begab sich langsam in einen der goldenen Holztröge. Einen Augenblick später war er tot. Wie er da so lag, sah er meinen Fingern ähnlich. Die Farbe übertünchte immerhin seine Leichenblässe. „Du gehst jetzt besser“, sprach Chang ernst. „Aber vergiss niemals, was du hier gesehen hast. Du weißt, was zu tun ist.“ Ich nickte und stand auf, die Affen im Smoking geleiteten mich vor mir herlaufend nach draußen. Draußen war es dunkel, man konnte kaum zwei Meter weit sehen. Ich wollte umkehren und nach einer Fackel fragen, doch auch hinter mir wich alles einer schwarzen Wand. Ich setze mich und harrte der Dinge, die da kommen würden.
„Na, gut geschlafen?“ Ich sah Qual mit großen Augen an, kniff diese aber sofort wieder zusammen, als er die Vorhänge zurückzog und die Sonnenstrahlen dadurch ungebremst das Zimmer fluteten. „Qual, können Elefanten im Schneidersitz sitzen?“ Verwirrt schaute er mich an. Ich dachte über meine Frage nach und ergänzte: „Lass uns bitte nie nach Reichtum streben, das macht halt doch nicht glücklich.“