Qual und die Bahn II

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Eine Mischung aus Zucker, Polyisobutylen und Kieselsäure kauend, wiederholte ich meine Frage. Qual grinste triumphierend und zeigte auf ein Schild an einem Wartehäuschen des Bahnhofs. „Kannst du das lesen?“ Ich überflog: „Melden Sie Vandalismus! Bla, bla…Fahrzeuge, Bahnhofseinrichtungen und Eisenbahnanlagen…bla, bla…Hinweise…Täter…Belohnung bis zu 600,- Euro.“ Zwischenzeitlich kam der Zug endlich an und wir stiegen ein. „Verstanden?“, setzte Qual das Gespräch fort. „Ja schon, aber was hat das mit dir zu tun? Arbeitest du jetzt für die Bahn-Security? Wie hast du das mit der Bewerbung gedeichselt?“ Qual grinste abermals: „Nun gut, direkt angestellt bin ich vielleicht nicht, mehr so eine Art IM. Und damit meine ich sogar für die inoffiziell. Hast du noch Geschmack? Falls nicht, gib mir jetzt deinen Kaugummi.“ Mit meinem zerkauten Wrigley in der Flosse schwebte Qual durch das Abteil. Dann und wann verharrte er, schaute sich die Passagiere an und flog weiter. Nach dreiundzwanzig Minuten schien er eine geeignete Zielperson gefunden zu haben. Ein Mann in den Dreißigern, mit dunkler Jeans und dazu passendem Polo-Shirt. Qual bugsierte den Kaugummi unter den Sitz dieses Mannes und kehrte zu mir zurück. Aus meinem Rucksack fischte er sein Smartphone und verschickte eine SMS. „Die Show kann beginnen“, sagte er mit bedrohlichem Unterton.

Bevor ich ihn überhaupt darauf ansprechen konnte, was das alles zu bedeuten habe, vollzog die Bahn eine Vollbremsung. Das Quietschen der Bremsblöcke übertönte das Bersten der Scheiben im Abteil. Die Beleuchtung ging aus und mehrere schwer gepanzerte Uniformierte, jeweils mit ballistischem TIG-Helm und bunten Walkie Talkies von Toys „R“ Us ausgestattet, durchsuchten die Sitze. Unter dem Sitz des Mannes in den Dreißigern, dessen Polo-Shirt inzwischen mit Angstschweiß vollgesogen war, fanden sie meinen von Qual dort befestigten Kaugummi. „Kaugummis sind biologisch nicht abbaubar“, sagte der Anführer der Gruppe, erkennbar am goldenen Walkie Talkie, „außerdem sind sie nur schwer von Sitzpolstern zu entfernen. Ein neuer Sitzbezug kostet bis zu 100€, merken Sie sich das! Kommt Jungs, wir haben genug gesehen.“ Die Uniformierten drückten dem Mann in den Dreißigern ein Stück Paketklebeband auf den Mund, fesselten ihn mit Kabelbindern und verschwanden mit ihm durch die zerbrochenen Scheiben. Die Beleuchtung funktionierte wieder und der Zug fuhr weiter, als wäre nichts geschehen.

„Du hast das alles mit der SMS ausgelöst? Qual, das war ein Unschuldiger! So was tut man nicht. Und was sollte die ganze Aktion uns bringen? Denunzierst du des öfteren harmlose Passagiere in der Bahn?“ Qual schaute mich wieder mit seinem für ihn typischen gelassenen Gesichtsausdruck an. „Der war nicht so unschuldig wie du denkst. Auf der Toilette hat er sich nicht die Hände gewaschen und schwarz fährt er obendrein. Außerdem passiert ihm nichts weiter. Dieser ganze Zirkus dient nur zur Abschreckung. Er wird lediglich kurz gezwungen mit der Truppe Räuber und Gendarm zu spielen, dann wird er freigelassen. Und wir freuen uns über 10€ Belohnung. Bei einem Preis von sagen wir einem Euro pro Kaugummi habe ich unseren Einsatz also glatt verzehnfacht. Vielen Dank für deine Kooperation. Möchtest du einen neuen Kaugummi haben?“

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