Qual und der Zierkürbis

Um schon mal etwas Kleingeld für das Weihnachtsgeschenk parat zu haben, das er mir groß angekündigt hatte, bat mich Qual eines Tages, mit ihm zu einem Herbstflohmarkt zu gehen. Wochenlang hatte er säckeweise Kastanien gesammelt, Massen an Streichhölzern gekauft und sich mit all dem Zeug Abend für Abend im Werkzeugschuppen verbarrikadiert. Über seine Tätigkeit verlor er keine Silbe, allenfalls enigmatische Aussagen ließen sich ihm abringen.

Als wir schließlich mit dem Bus Richtung Flohmarkt losfahren wollten, wusste ich noch immer nicht, was Qual eigentlich verkaufen würde. Er zeigte lediglich mit einer Flosse auf eine hermetisch verschlossene und mehrfach mit schwarzem Panzertape umwickelte Kiste, die ich netterweise für ihn tragen durfte. Ein vorsichtiges Schütteln dieser Kiste, um – wie damals bei einem Überraschungsei – den Inhalt zu erahnen, strafte er sofort mit einem bitterbösen Blick, sagte aber weiterhin kein Wort.

Erst als wir ankamen, schien sich seine Laune und damit sein Redebedarf gebessert zu haben. „Ich sage dir, unser Stand wird der Knüller des Tages. Meinen Berechnungen zufolge werden sich die Menschen um die Früchte meiner Arbeit reißen”, sprach er in euphorischem Ton. „Und wozu die ganze Geheimniskrämerei?”, wollte ich wissen. „Industriespionage … da kann man nicht vorsichtig genug sein.” Ohne zu blinzeln, sah Qual mich an. Ich nickte stumm und schaute mich um.

Der Flohmarkt befand sich auf einem Spielplatz, zu dem eine große asphaltierte Fläche mit aufgemalten Linien für Ballsportarten gehörte. Zwischen Rutschen, Reifenschaukeln und diversen Wippen verkauften Kinder, überwiegend im Grundschulalter, einige davon in Begleitung ihrer Mutti oder Oma, altes Spielzeug, antike VHS-Kassetten und sogar selbstgebaute Harken. Trotz des eher schlechten Wetters mit reichlich Wolken und kaltem Wind waren viele Leute unterwegs, ganze Familien nutzten die Veranstaltung für einen gemeinsamen Ausflug.

Als ich unsere Kiste öffnen wollte, um endlich deren Inhalt in Erfahrung zu bringen und mit dem Verkauf zu beginnen, unterbrach mich Qual: „Stopp! Noch nicht. Das ist Teil meines Plans. Du musst den Menschen Spannung bieten, dann sind sie heiß auf deine Ware. Das ist wie mit Wundertüten. Jeder hat im Leben mindestens schon eine gekauft, weil es ihn gewurmt hat, nicht zu wissen, was drin steckt.” Ich grübelte. „Bist du dir sicher? Die Rentner hier scheint es herzlich wenig zu jucken, was du in deiner Kiste hast. Zu viel Aufregung vertragen die wahrscheinlich auch gar nicht mehr. Der Junge mit den Zierkürbissen dort drüben“, ich deutete die Richtung mit meinem Daumen an, „der räumt allerdings gerade richtig ab.” Tatsächlich hatte sich um den Stand eines vielleicht zwölf Jahre alten Blondschopfes eine große Traube gebildet. Jeder, der diese verließ, hatte mindestens einen Zierkürbis in der Hand.

„Na gut“, lenkte Qual ein, „mach sie auf.” Mühsam knibbelte ich an dem siebenlagigen Panzertape herum. „Geht nicht. Hast du eine Schere oder ein Messer dabei?” “Sehe ich etwa so aus?”, schrie er hysterisch. Der Junge verkaufte seine Zierkürbisse munter weiter, derweil die Wolken sich immer schneller zu einer dunklen Masse verdichteten. Als die ersten Regentropfen vom Himmel fielen, war sein Stand leer, so leer wie der ganze Flohmarkt. Er lief an uns auf die Kiste schauend vorbei und warf uns dabei einen Euro zu.

Der einsetzende Platzregen prasselte auf uns und die nach wie vor bombenfest verschlossene Kiste herab. Eine Schaukel pendelte leicht hin und her, ansonsten war es still.

„Was ist denn nun drin in der Kiste?”, fragte ich mit verzweifelter Gereiztheit. „Eine Nachbildung der Terrakotta-Armee aus Kastanienmännchen. Frohe Weihnachten”, seufzte Qual.

Stiltest: Melinda Nadj Abonji

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