Qual und der Weihnachtsmarkt

Um Qual, der als notorischer Feiertagshasser bislang sämtliche religiös angehauchten Veranstaltungen boykottiert hatte, endlich einmal einige angenehme Seiten vom so genannten Fest der Liebe zu zeigen, besuchten wir an einem Adventssonntag einen klassischen Weihnachtsmarkt. Bei leichtem Schneefall und deutlichen Minusgraden mischten wir uns unter das bereits vom Glühwein beseelte Volk und schlenderten in Trippelschritten, der Herde folgend, von Bude zu Bude.

Eine überaus interessante Geruchsmischung, bestehend aus Bratwurst, gebrannten Kastanien und einem penetranten Duftwasser für Damen, lag in der eiskalten Luft. Während ich mir nach und nach den einen oder anderen Becher mit Schuss (beziehungsweise insgesamt gerechnet eigentlich einer ganzen Salve) gönnte und dabei immer fröhlicher wurde, schwebte mir Qual weiter eher mürrisch hinterher.

„Warum hast du eigentlich so schlechte Laune?”, stellte ich ihn schließlich zur Rede, bemüht, möglichst ernst dreinzublicken und ohne dabei zu schielen. „Sieh dich doch mal um”, bat er mich, „was soll das denn hier sein?” Mein Blick glitt über den längst komplett zugeschneiten Platz, auf dem sich mittlerweile viele verschieden große Gruppen Glühwein trinkender und Mütze tragender Menschen befanden. Abgesehen von den beleuchteten Buden glich die Szenerie einer sich friedlich betrinkenden Pinguin-Kolonie.

„Ich kann mir keinen Reim auf deinen Frust machen. Was meinst du?”, fragte ich nach einer Weile. Plötzlich baute sich eine Formation pubertierender Jugendlicher vor uns auf und beschallte uns a capella mit Weihnachtsliedern. Einer der Jugendlichen war bereits im Stimmbruch, weshalb der Gesang in schöner Regelmäßigkeit wie der Brunftschrei eines sibirischen Moschushirsches unter Drogeneinfluss klang. „Unter anderem deswegen!”, antwortete Qual genervt. „A capella ist immer noch weniger gefährlich als eine handelsübliche AK-47. Du musst das in Relation setzen. Anderen Menschen geht es eben nicht so gut wie uns. Naja, besser gesagt mir, du bist ja zum einen ein Wal und zum anderen eigentlich tot. Aber es gibt sicherlich auch unter den Geistern welche, die mehr Pech haben als du.”

Qual atmete bedächtig ein und erklärte mir dann: „Die Grundaussage von Weihnachten versteh ich ja und finde sie sogar ganz gut. Aber warum das kommerziell derart ausgeschlachtet werden muss, bleibt für mich ein Rätsel. Der Weihnachtsmann ist doch nichts anderes als die Personifikation einer gewieften und vor allem globalen Marketing-Kampagne. Viele Kinder wissen doch gar nicht mehr, warum man überhaupt Weihnachten feiert. Und von christlicher Seite hat man ebenfalls dezent übertrieben: Jesus Christus hat Geburtstag, mehr nicht. Trotzdem gibt es dazu dreiundzwanzig Tage lang ein Warm-up, und das eigentliche Event geht auch noch mal drei Tage. Und wofür? Damit afrikanische Schnitzereien und überteuerte getrocknete Apfelchips auf einem Weihnachtsmarkt verkauft werden können!”

Stiltest: Ildiko von Kürthy

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