Wieder einmal war der Monat noch längst nicht vorbei, dafür aber unser ohnehin schmales Budget beinahe vollständig aufgebraucht. Schuld daran war völlig unerwarteterweise abermals Qual, der es Woche für Woche schaffte, neuen nutzlosen Kram im Internet aufzustöbern und natürlich sofort mit Hilfe meiner blöderweise vorhandenen Kreditkarte käuflich zu erwerben. So waren wir stolze (aus Quals Sicht) und verzweifelte (aus meiner Sicht) Besitzer von 1000 japanischen Nippelaufkleberngeworden, die laut Verpackung die Nippel vor Reibung schützen und sie obendrein unter der Kleidung vor dem menschlichen beziehungsweise männlichen Auge versteckt halten sollen. Was für Frauen durchaus einen Sinn ergeben mag, erschien mir in unseren Händen respektive Flossen schlicht fehl am Platz. Selbst Qual konnte mir beim Öffnen des Pakets nicht wirklich erklären, was wir mit den Aufklebern anfangen würden.
Um die restlichen Tage, die noch vor uns lagen, bis es wieder frisches Geld auf dem Konto gab, einigermaßen geregelt über die Bühne zu bringen, saßen wir in der Küche und besprachen unseren aktualisierten Haushaltsplan. Neben der Tatsache, dass zumindest ich auch noch etwas zum Essen brauchen würde, drängten sich mehrere reparaturbedürftige Dinge auf. Der Duschschlauch im Bad war derart löchrig, dass er es getrost mit jedem Schweizer Käse hätte aufnehmen können. Außerdem war ein Fenster im Schlafzimmer nicht mehr dicht, und zwei Drittel aller Glühbirnen in der Wohnung waren schon vor einem halben Jahr durchgebrannt, als Qual versucht hatte, unseren Hometrainer an den Stromkreis anzuschließen, um beim Trainieren gleich noch Energie erzeugen zu können. Wenn ich nicht hungern wollte, konnten wir angesichts unserer Finanzknappheit höchstens zwei der drei Probleme beheben. Die Frage war nur, welche.
„Und, was schlägst du vor?”, fragte ich ihn nach seinem Schlachtplan. „Sieht mir nach einem klassischen Trilemma aus”, sagte Qual. „Du kannst entweder den Schlauch austauschen und wieder vernünftig duschen, und du brauchst nicht mehr zu frieren, weil das Fenster repariert wurde, dafür hockst du mit mir im Dunkeln. Oder du wechselst die Glühbirnen und den Schlauch, dafür ist das Zimmer kalt. Und die letzte Möglichkeit: Du kannst abends was sehen und frierst auch nicht mehr, stinkst jedoch wie ein Iltis. Die letzte Option ist, ehrlich gesagt, mein Favorit. Du hast doch eh gerade frei, da kannst du ruhig ein wenig strenger riechen.” Ich musste lachen. „Was ist daran so witzig?”, wollte Qual irritiert wissen. „Weil das der Beweis dafür ist, dass Geld nicht stinkt. Wer genug Kohle hat, kann alles reparieren – auch einen Duschschlauch.”
Mit ehrlicher Reue senkte Qual den Kopf: „Ich gebe zu, dass ich mitunter keine glückliche Flosse für Geld habe. Als im Umgang mit monetären Mitteln im Wirtschaftskreislauf ungeübtes Subjekt plädiere ich aber auf Unschuld und Nachsicht!” Nun schaute ich ihn irritiert an. „Na schön, die Nachsicht sei dir gewährt. Aber wieso Unschuld?” Qual drehte eine gemächliche Runde in der Küche und sprach dann: „Es ist unfassbar schwer, ein Gespür für Moneten zu bekommen, wenn ständig allerorten ein derart inkonsequentes Verhalten vorgelebt wird. Staaten auf der ganzen Welt schieben Schulden vor sich her, deren astronomisches Ausmaß kaum noch zu begreifen ist. Es geht schon längst nicht mehr um Wirtschaftlichkeit, sondern einzig darum, die Neuverschuldung möglichst niedrig zu halten. Dabei braucht es das alles gar nicht. Rohstoffe für alle Menschen gibt es im Grunde genug, man könnte genauso gut alles fair verteilen und die Schulden auf Null setzen. Aber dann würden die verschiedenen Abhängigkeiten und Machtspiele, die sich die Menschheit über Jahrhunderte so schön aufgebaut hat, einfach verpuffen. Wie dem auch sei, ich habe eine Lösung für unser Problem.“
„Und die wäre?“, fragte ich überrascht. „Kaufe neue Glühbirnen und lass das Fenster abdichten.” „Und der Duschschlauch?” „Den flicken wir einfach mit unseren Nippelaufklebern. Das ist dann eben die etwas andere Art, ein Haushaltsloch zu stopfen.”
Stiltest: Ildiko von Kürthy