Qual und der Asket

Manche Jahreszeiten sind einfach prädestiniert dafür, viele Trennungen zu erleben. Im Winter 2011 bekam ich das erstmals in meinem sozialen Umfeld so richtig mit. Statt wie geplant ins Kino zu gehen, mussten Qual und ich an einem Novemberwochenende seelische Aufbauarbeit für einen Freund leisten. Dessen langjährige Freundin hatte sich spontan dazu entschlossen, ihr Jura-Studium im 5. Semester abzubrechen, um mit einer Disco-Bekanntschaft nach Kolumbien durchzubrennen und dort Zumba-Trainerin zu werden. Seitdem sie Star Wars als Quatsch betitelt hatte, konnte ich sie eh nicht mehr leiden, so dass zumindest für mich das Beziehungs-Aus, böse gesagt, eher ein Grund zur Freude war. Insgeheim wünschte ich ihm schon seit Langem eine neue Freundin, eine, die Star Wars nicht nur mag, sondern sich womöglich zu Halloween auch mal als Prinzessin Leia verkleiden würde.

Wir dachten, unsere lockere Gesprächsrunde bei ein paar Bieren würde zur emotionalen Gesundung ausreichen, doch erst danach sollte es deutlich schlimmer werden. Mein Freund war derart untröstlich, dass er mehrere Tage fast vollkommen regungslos auf der Couch in Fötushaltung verbrachte. Hätten wir ihn nicht gewendet, wäre seine Haut wohl wund geworden. „Dekubitus, eklige Sache”, meinte Qual dazu nur. Immerhin ging er selbstständig zur Toilette.

Obwohl wir unser gesamtes Repertoire an Wiederaufmunterungswerkzeugen herunterspulten, zeigten unsere Maßnahmen keinerlei langfristige Wirkung. Unser Quartier hatten wir da schon längst in seine Bude verlegt. Zum Frühstück spielten wir die Intro-Melodien meiner Lieblings-Zeichentrickserien aus Kindertagen vor, mittags gab es abwechselnd Pizza und Burger bis zum Umfallen, und abends inhalierte ich literweise Helium, um anschließend die Tagesthemen nachzusynchronisieren. Selbst dreiste Lügen halfen nicht. Sätze wie „So doll sah sie doch gar nicht aus” waren eher kontraproduktiv, da seine Wohnung mit Bildern von ihr volltapeziert war, so dass es sogar uns schwer fiel, ihren zur Schau gestellten Modelkörper zu ignorieren.

Qual dachte schon daran, den Patienten aufzugeben, als ihm die rettende Idee kam: „Wir müssen zu Symbios! Das ist es!” Ich verstand nicht ganz. „Zu wem müssen wir?” „Symbios ist der Geist eines verstorbenen Dackels“, erklärte Qual. „Er war zu Lebtagen der Hund von unzähligen Paaren, die sich aber allesamt früher oder später getrennt hatten. Ihn wollte nie jemand behalten, so kam er viel herum. Seit seinem Tod lebt er zurückgezogen und sinniert über das menschliche Zusammenleben, Gefühle und deren Folgen. Er wird uns weiterhelfen können.” Für mich klang das alles sehr verrückt, doch ich sah keine Alternative. „Ist es schwer, ihn aufzufinden?” „Nein, gar nicht”, sagte Qual, „er wohnt gleich um die Ecke im Müllcontainer vom Supermarkt.” „Im Müll? Warum das denn?” Ratlos hob Qual seine Flossen. „Tja, so läuft das wohl bei Asketen. Diogenes hat auch in einer Tonne gelebt.”

Wir gingen also zum Supermarkt, fanden den Müllcontainer und klopften vorsichtig an. Lange Zeit geschah nichts, bis es aus dem Inneren tönte: „Hier spricht Symbios, selbsternannter Beziehungsweiser! Wer wagt es, meinen Denkprozess zu unterbrechen?” Qual sprang sofort darauf an: „Ach, hab dich mal nicht so. Ich bin es. Schick hast du es dir hier gemacht.” Der Dackelgeist öffnete den Deckel des Containers und schaute Qual mit großen Augen an. „Das ich dich noch einmal wiedersehe”, sprach er mit leiser Stimme.

Nach der Begrüßung setzten wir uns zu Symbios in den Container und beratschlagten uns. “Sie ist also gutaussehend und hat eine Weile Jura studiert, ist demzufolge nicht ganz doof, ja? Puh, eine harte Nuss”, gab Symbios zu. „Hast du eine Lösung für uns?”, fragte ich vorsichtig. „Wenn ich die hätte, würde ich nicht seit Jahren hier im Müll hocken.” Qual wirkte enttäuscht. „Aber irgendetwas muss es doch geben?” Bedächtig tapste Symbios eine Runde durch den Container und legte dabei seine Dackelstirn in wulstige Falten. „Hört zu! Warum Menschen einander mögen beziehungsweise irgendwann nicht mehr mögen, bleibt wohl für immer ein Rätsel. Man kann wissenschaftlich die Wirkung von Düften, die Wirkung des Aussehens und der Stimme analysieren, aber selbst wenn alle Zutaten vorhanden sind, fehlt immer noch etwas. Das ist quasi wie eine Suppe ohne Salz. Natürlich ist es jetzt schwer für euren Freund, doch das Einzige, was ihr tun könnt, ist warten. Denn am Ende ist doch noch immer alles gut geworden. Also Kopf hoch. Zeigt ihm weiterhin die schönen Seiten des Lebens, es gibt auch ohne Partnerin genug davon … Aber falls möglich“, abrupt beendete er seinen Rundgang durch den Container und schaute uns an, „falls möglich, so findet für ihn …“, beschwörend senkte er seine Stimme, „… die Frau, die sich als Prinzessin Leia verkleiden würde.”

Stiltest: Ildiko von Kürthy

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