Qual und der Wintereinbruch

Qual wollte sich gestern eigentlich einen Spielfilm ansehen, als Folgendes geschah:

Wir unterbrechen unser Programm für eine Sondersendung. Erneut wurde in zahlreichen deutschen Städten und Gemeinden mindestens ein Wintereinbruch gemeldet. Damit steigt die Zahl der bekannten Fälle auf fast eine halbe Million. Die Polizei geht inzwischen davon aus, dass es sich um eine Mehrgenerationen-Familie von Serientätern handeln muss. Dies ergab eine Analyse der Wintereinbrüche der vergangenen fünfzig Jahre. Demnach schlagen die Täter immer dann nach dem gleichen Schema zu, wenn die Temperaturen drastisch in den Keller gehen. Die Spurensicherung gestaltet sich als äußerst schwierig, da der Neuschnee sämtliche Fußabdrücke verdeckt. Inzwischen wurde auch die FBI (Frostschutzbehörde Ilmenau) mit dem Fall vertraut gemacht. Berlins Polizeipräsident Klaus Klandt begrüßt diesen Schritt: „Wir müssen eingestehen, dass wir mit unseren begrenzten Mitteln nicht entscheidend voran kommen. Vielmehr hat es die Bande sogar geschafft, uns mehrfach mit falschen Hinweisen aufs Glatteis zu führen.“ Trotz der erhofften Unterstützung bei den Ermittlungen reagiert die Bevölkerung panisch. Etliche Händler berichten von Hamsterkäufen. Besonders begehrt sind im Moment Wärmflaschen und Heizdecken.

Unterdessen beraten die fünf Eisheiligen, ein eigens zusammengestellter Sachverständigenrat ähnlich den Wirtschaftsweisen, welches Motiv die Täter haben könnten. Denn gestohlen wurde bislang nichts. Anscheinend beruhen die Einbrüche auf psychologischem Terror. Vermutungen der „Bild“-Zeitung, die Kriminellen seien Einwanderer aus Osteuropa, sorgen mittlerweile auch auf politischer Ebene für Unruhe. Aus Polen, Russland und der Ukraine hagelte es teils heftige Kritik. Bundeskanzlerin Merkel bedauert das derzeit raue Klima gegenüber diesen „äußerst wichtigen Partnern der Bundesrepublik als auch der Europäischen Union“. Außenminister Westerwelle (FDP) weilt momentan zu Beschwichtigungsgesprächen in Warschau. Polens Premierminister Donald Tusk warnte am Morgen davor, dass „die Täter mit dem Säen von Misstrauen zwischen politischen Verbündeten ihr Ziel bereits erreicht hätten“ und spricht sich offen für einen „Klimawandel“ aus.

Auch die Sportwelt ist von der Einbruchserie betroffen. Die Olympischen Winterspiele werden aber – so das Fazit nach hitzig geführten Debatten – wie geplant 2014 im russischen Sotschi stattfinden, selbst wenn es zu weiteren Wintereinbrüchen kommen sollte. So wolle man „dem Terror keine Plattform geben“. Das Olympische Komitee (IOC) reagierte damit auf Stimmen, die eine Absage oder Verlegung der Spiele forderten.

Den Betroffenen nützt das leider wenig. Die Frührentnerin Hannelore W. (61) aus Eisenach ist immer noch geschockt. Im Gespräch mit ihr wird deutlich, wie kühl und berechnend die Täter vorgegangen sein müssen. „Zur Tatzeit war ich im Haus. Dennoch habe ich nichts vom Einbruch gemerkt. Eins steht für mich fest: Das waren keine Anfänger!“ Noch heute bekommt die sonst rüstige Dame kalte Füße, wenn sie daran denkt, dass es für sie auch weniger glimpflich hätte ausgehen können. Winternotdienste, die vierundzwanzig Stunden im Einsatz sind, kümmern sich um Hannelore W. und die anderen Opfer. Und obwohl jeder das Beste hofft, ist allen klar, dass es wohl nicht die letzten Leidtragenden gewesen sein werden.

Zweckdienliche Hinweise im Fall „Eiszeit“ nimmt die Polizei jederzeit entgegen.

„Na toll“, grummelte Qual und machte den Fernseher aus.

Stiltest: Melinda Nadj Abonji

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