Qual und die Polizeikontrolle

Qual und ich fuhren eines schönen Tages quietschvergnügt pfeifend auf einem Tandem durch die Gegend, als plötzlich eine Polizeisirene ertönte. Wir drehten uns um und sahen einen kleinwüchsigen Polizisten, der uns auf einem dressierten Wildschwein verfolgte und mit seiner Bratpfanne in der Hand anwies rechts ranzufahren. Wir gehorchten sofort und hielten am Seitenstreifen. Der Polizist brachte sein Schwein einige Meter hinter uns zum Stehen, setzte seine russische Fliegerkappe mit der immer noch leuchtenden Sirene darauf ab und dafür eine viel zu große dunkle Sonnenbrille auf.
Das Wildschwein schien mächtig erschöpft zu sein, jedenfalls atmete es trotz der Entfernung zu Qual und mir deutlich hörbar schnell ein und aus. Der kleinwüchsige Polizist kraulte dem Schwein beinahe liebevoll den Kopf und bewegte sich dann bedächtig auf uns zu. „Dürfte ich bitte mal Ihren Führerschein sehen?“, fragte er mich freundlich. „Sicher“, antwortete ich immer noch auf dem Fahrrad sitzend, „der muss hier irgendwo sein.“ Nervös nestelte ich an meiner Bauchtasche herum, aber der Reißverschluss klemmte. Hektisch zog ich immer wieder daran, doch es tat sich nichts. Mit einem kräftigen Ruck löste ich schließlich unbeabsichtigt den Schieber von den Krampen und der Inhalt meiner Bauchtasche verteilte sich weiträumig auf dem Boden.
Der Polizist, dessen Kopf sich ungefähr auf Höhe des Fahrradlenkers befand, zog die linke Augenbraue angespannt nach oben und umfasste die entsicherte Bratpfanne in seiner Hand so fest, dass seine Fingerknöchel heraustraten. Ich wusste: Eine falsche Bewegung und die Situation würde im Handumdrehen eskalieren. Hilfesuchend wendete ich meinen Blick zu Qual. Er schien den Ernst der Lage ebenfalls zu registrieren und nickte mir nur ruhig zu. Ich schloss für einen Moment die Augen, holte tief Luft und atmete langsam aus. Vorsichtig stieg ich vom Tandem und suchte den Boden ab.
Ungeduldig ließ der Polizist die Bratpfanne in den immer gleichen Abständen gegen seinen Oberschenkel klatschen. Dabei traf er auch einen metallischen Knopf an seiner winzigen Hose, wodurch das an sich dumpfe Geräusch eine klirrende Note bekam. Das dumpfe klatschende Klirren beziehungsweise das klirrende dumpfe Klatschen scheuchte ein paar Krähen auf, die gerade auf einem Acker neben der Straße gefeldert hatten. Auf meiner Stirn sammelte sich der Schweiß. Zum einen, weil es wirklich furchtbar heiß draußen war, zum anderen, weil ich solche Szenen sonst nur aus Filmen kannte und meine Aufregung kaum verbergen konnte. Endlich wurde ich fündig. Erleichtert reichte ich dem Polizisten leicht zitternd meinen Führerschein aus dem Legoland.
Kritisch beäugte er ihn. Zumindest glaubte ich das. Vielleicht hatte er auch Tränen der Rührung in den Augen. Genau konnte man das nicht sagen, weil die nach wie vor viel zu große dunkle Sonnenbrille sein halbes Gesicht verdeckte. „Na gut“, sagte er dann, „wissen Sie, warum ich Sie angehalten habe?“ Ich schüttelte den Kopf. „Ihr Bremslicht ist defekt“, sagte er ernst. Irritiert hakte ich nach: „Woher wollen Sie das wissen? Ich habe doch heute noch gar nicht gebremst!“ Der Polizist nahm seine viel zu große dunkle Sonnenbrille ab und sah mich bärbeißig an. „Sie sind wohl ein ganz schlauer Typ, was? Bremsen Sie denn generell nie?“, wollte er neugierig wissen. „Wer bremst, verliert“, raunte ich so lässig wie möglich und spuckte ihm dann vor die Füße.
Der kleinwüchsige Polizist schien beeindruckt zu sein. „Naja, wenn das so ist. Passen Sie auf sich auf. Heute sind viele verrückte Menschen unterwegs.“ Ich nickte. Aus heiterem Himmel begann das Wildschwein des Polizisten, das kurz vor dem totalen körperlichen Zusammenbruch stand und sich mittlerweile auf die Seite gelegt hatte, zu pfeifen. „Ich glaub, mein Schwein pfeift“, bemerkte der Polizist überrascht, „fahren Sie los, das wollen Sie nicht sehen.“ Ich nickte erneut, stieg wieder auf das Tandem und radelte mit Qual davon. Ein letztes Mal schauten wir zurück und sahen, wie der Polizist mit seiner Bratpfanne über dem Kopf des Wildschweins ausholte. Wir wendeten uns ab. Kurz darauf vernahmen wir ein sehr lautes dumpfes Geräusch, gefolgt von den Schreien mehrerer aufgescheuchter Aaskrähen. Traurig pfiff Qual das Lied vom Tod.

Stiltest: Daniel Kehlmann

FacebookTwitterGoogle+Email

Dampf ablassen!