Obwohl wir uns geschworen hatten für längere Zeit in keinen Club mehr zu gehen, fanden wir uns eines Tages mitten auf der Tanzfläche eines Szene-Schuppens wieder. Meine Freunde bewegten sich reichlich alkoholisiert und sowieso testosterongeschwängert euphorisch zu lautem Dubstep aus den Boxen, während ich verzweifelt den Weg zur Bar einzuschlagen versuchte. Qual koordinierte mich dabei durch die Menge. Immer wieder mussten wir anhalten, weil unzählige Gruppen junger Frauen unbedingt in die Knie gehen, eine Kamera nach oben halten und in selbige mit verzogener Schnute schauen mussten. Nach erfolgtem Schnappschuss versammelten sich die einzelnen Gruppenmitglieder jedes Mal um die Knipserin und begutachteten sogleich mit den Fingerspitzen klatschend ihr soeben angefertigtes digitales Erinnerungsstück.
„Immer dasselbe Bild“, murmelte ich im Vorbeigehen. „Meinst du die Duckface-Fotos?“ Ich warf einen Blick in die Runde. „Wenn es mal nur das wäre.“ Plötzlich wechselte der DJ die Musik und spielte Gangnam Style von Psy. Irgendwo hörte ich meine Freunde gröhlen. So gut wie jeder im Raum versuchte den Tanz nachzumachen, was mir bei jeder Person, die zwischen mir und der Bar stand, für ein extrem kurzes Zeitfenster Platz zum Passieren bescherte. Mit harlemshakeartigen Bewegungen gelangte ich schließlich ins Ziel. „Oppa Gangnam Style!“, riefen die Club-Besucher unisono. Völlig entkräftet bestellte ich mir etwas gegen meinen Durst. „Wann ist ein Trend eigentlich kein Trend mehr?“, fragte ich an meiner Club Mate schlürfend. „Sobald eine unbestimmt große Zahl an Personen mit dem Trend in Kontakt gekommen ist oder eine gewisse Zeitspanne überschritten ist“, schätzte Qual, „schließlich waren das Internet und das Automobil am Anfang auch nur Erfindungen, die sich letztlich durchgesetzt haben.“
Ich grübelte. „Ich mag Trends nicht. Ständig muss man up to date sein, um mitreden zu können. Da lobe ich mir seinen eigenen, vielleicht veralteten, Stil zu haben. Gerade was Mode betrifft.“ „Vintage und Retro sind aber momentan wieder voll im Trend“, gab Qual zu bedenken. Der DJ legte nun Songs der Backstreet Boys auf. „Ach weißt du, irgendwie kommt ja alles irgendwann mal zurück“, sagte ich und zückte mein Tamagotchi aus meiner alten Wrangler, um es zu füttern. „Trends sind für mich daher wie ein Bumerang. Du findest zufällig einen, siehst ihn dir kurz an und wirfst ihn dann richtig weit weg. Und während alle anderen in der Zwischenzeit hektisch Federball spielen, brauchst du einfach nur zu warten.“
Stiltest: Rainald Goetz