Qual und Vin Diesel

Seit mittlerweile über einem Jahr bin ich zahlendes Mitglied in einem größeren Berliner Fitnessstudio. Nach der euphorischen zweiwöchigen Anfangsphase, in der ich auch dank einiger ebenfalls angemeldeter Freunde tatsächlich regelmäßig dort war, ebbte meine Trainingsbegeisterung allerdings ziemlich schnell ab. Bis vor Kurzem hielt sie sich zwar konstant auf einem Level, was aber eher daran liegen mochte, dass der einzige Weg noch weniger Sport zu treiben darin bestanden hätte, einfach gar nicht mehr das Bett zu verlassen.

Natürlich ist dieser Prozess der schwindenden Motivation ein schleichender und wird oftmals erst durch ungünstige Umstände hervorgerufen. In meinem Fall waren das ein wirklich hartnäckiger Schnupfen und diverse Familiengeburtstage, die meinen frisch angeeigneten Trainingsrhythmus bis heute nachhaltig stören sollten. Das leider noch unsportliche Kind ist im Grunde schon da in den Brunnen gefallen. Denn ist man erst einmal im Sog der körperlichen Faulheit gefangen, ist es schwer, diesem zu entkommen. Ich gab mich selbst sogar schon mit hanebüchenen Ausreden zufrieden, um im warmen Nest der heimisch gewordenen Lethargie verharren zu können.

So konnte ich mir jüngst erfolgreich einreden, im Moment schlicht keine Zeit für Sport zu haben. Immerhin brauchte ich mindestens fünfzehn Minuten bis zum Studio, also allein für den Hin- und Rückweg schon eine halbe Stunde meines Lebens. Was man in der Zeit alles anfangen oder vielmehr endlich beenden könnte! Die Steuererklärung für das Finanzamt zum Beispiel. Wobei die auch noch warten kann. Mein imaginärer innerer Schweinehund applaudierte mir begeistert für meinen Gedankengang.

Zwei Dinge hatten sich inzwischen aber grundlegend geändert: Zum einen schmerzte der Blick auf die Kontoauszüge immer mehr, wenn einem die monatliche Lastschrift an das Fitnessstudio wie eine blutrote Fratze vorkam, die dir ihre Zunge hämisch grinsend entgegenstreckte. Zum anderen ist mein Studio unlängst umgezogen. Nicht irgendwo hin, sondern ausgerechnet in das Haus neben dem unseren. Davon habe ich aufgrund meiner wochenlangen Abwesenheit logischerweise nicht viel mitbekommen. Ein von Mitarbeitern vor meiner Haustür zur Neueröffnung verteilter Flyer setzte mich letztlich davon in Kenntnis.

Um eine Ausrede ärmer, entschloss ich mich endlich dazu wieder sportlich aktiv zu werden. Zur mentalen Unterstützung willigte Qual ein mich zu begleiten. Obwohl das Fitnessstudio noch nicht einmal eine Woche am neuen Standort geöffnet hatte, bemerkten wir schon beim Betreten den typischen Geruchs-Mix aus kaltem Schweiß, billigem Deo und seltsam gefärbten isotonischen Getränken. Im Geräteraum herrschte emsiges Treiben. Wo man auch hinsah, wandelten muskelbepackte und mit Funktionssportwäsche ausgestattete Wesen umher. Meine Untätigkeit schien sie zu irritieren. Nervös hantierte ich daher schnell am nächstbesten Gerät herum, von dem ich nicht mal genau wusste, wozu es eigentlich gut ist.

Sofort wurde ich angeblafft. „Dit lässte ma’ lieber schön bleiben, Freundchen!“ Ängstlich drehte ich mich in die Richtung, aus der die Stimme kam und erblickte zunächst einen äußerst ausgeprägten Musculus pectoralis major. Dessen Besitzer war eine Art Vin Diesel für Arme. Zwar waren die Frisur und die Muskelpartien nahezu identisch mit dem Original, dafür sahen die Tattoos einfach noch dämlicher aus. „Siehste dit? Dit is mein Handtuch!“, brüllte mich Vin auf sein Handtuch am Gerät zeigend an. Sämtliche Nackenhaare sträubten sich bei mir. „Warum sagstn nichts? Bist du taub?“, erwartete mein Gegenüber bedrohlich schauend eine Aussage meinerseits. Starr vor Schreck, erinnerte ich mich an mein Lieblingstier aus der Grundschulzeit und stellte mich wie ein Opossum tot. Regungslos lag ich auf dem kalten Boden, was Vin nur noch wütender machte.

Gerade als er mich packen wollte, wurde er plötzlich von einem zweiten Vin Diesel zurechtgewiesen. „Jetzt lass ihn und zieh Leine!“, sagte dieser mit Nachdruck. Der erste Vin Diesel tat murrend wie ihm geheißen. Mühelos griff mein Retter nach meinem Arm und stellte mich hin. „Frau Hermann?“, entfuhr es mir überrascht, als ich feststellte, dass es sich um meine pensionierte Nachbarin handelte, die ich länger nicht gesehen hatte. „Wundert dich etwas?“, fragte sie. „Nun ja, ich will ja nicht frech werden, aber das in Ihrem Alter … “, begann ich mich zu erklären, während ich auf ihren durchtrainierten Körper und ihre Tattoos schaute. „Ach was, so ein wenig körperliche Ertüchtigung kann auch im Alter nicht schaden“, sagte sie nur lachend, „aber du siehst heute gar nicht gut aus, vielleicht trainierst du lieber ein anderes Mal?“ Ich nickte. „Es war sehr kalt auf dem Boden. Ich bekomme bestimmt einen Schnupfen. Und meine Steuererklärung muss ich sowieso noch machen.“

Traumatisiert gingen Qual und ich nach draußen. „Sport ist ja schön und gut, aber bevor du zu einem Vin Diesel wirst, bleibst du vielleicht doch lieber ein Milchbubi. Ich meine … Vin Diesel: Der einzige Name, der nur aus alkoholhaltigen Getränken besteht. Das kann nicht gutgehen“, meinte Qual.

Stiltest: Ildiko von Kürthy

FacebookTwitterGoogle+Email

Dampf ablassen!