Nachdem es in letzter Zeit in unserem Viertel zu einigen Zwischenfällen krimineller Natur gekommen war, beschlossen Qual und ich eine schlagkräftige Nachbarschaftswache mit eigenhändig erweitertem Handlungsspielraum ins Leben zu rufen. Um die Effektivität unserer Ermittlungen zu gewährleisten, schauten wir so oft wie möglich sämtliche Teile von Police Academy und Miss Marple. Qual hörte zusätzlich des Nachts die Hörspielkassetten von TKKG. Inspiriert von Sir Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes besorgte ich mir zudem eine Deerstalker-Mütze und den bekannten Inverness-Mantel.
Lupe und Pfeife durften freilich ebenso wenig fehlen, auch wenn ich mir Letztere nie wirklich ansteckte, dafür aber umso energischer beim Nachdenken darauf herumkaute. Unserer Organisation mangelte es aufgrund fehlender Werbung oder Mundpropaganda sowohl an Bekanntheit als auch an Mitstreitern. Immerhin waren wir als Zwei-Mann-Team oder besser gesagt Ein-Mann-ein-Wal-Team dadurch nahezu immun gegen Korruption oder Maulwürfe, was wir bis heute über unseren Vorgarten nicht unbedingt sagen können.
Vergangene Woche kamen wir gerade von einem unserer undercover durchgeführten Streifgänge zur Currybude unseres Vertrauens, als unseren aufmerksamen Augen auf der anderen Straßenseite etwas auffiel. Unbekannte Täter hatten am Wir backen mehrmals täglich-Werbebanner der Tankstellenbäckerei eine minimale, aber in der Konsequenz doch entscheidende Veränderung vorgenommen. Dieser informierte nun nahende Autofahrer und Passanten nicht mehr über sehr kurze Produktionsintervalle im Bereich der Teigwaren, sondern kündete in fetten, roten Lettern auf weißem Grund von innerhalb einer Erdumdrehung häufig erfolgenden Stuhlgängen der Belegschaft.
„Wir kacken mehrmals täglich“, murmelte ich grinsend vor mich hin, während wir den Tatort nach Spuren absuchten. „Regelmäßiger Stuhlgang ist eigentlich jedem Menschen nur zu wünschen“, sagte Qual betont ernst. Ich machte eine abwägende Handbewegung und zitierte dann Helmut Kohl: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ Mit meiner überdimensionalen Lupe in der Hand betrachtete ich den Banner. „Die Fläche wurde geweißt und der Buchstabe erst danach aufgemalt“, gab ich Qual zu Protokoll. „Und was machen wir jetzt?“, wollte er wissen. „Wie meinst du das?“ „Nun, ermitteln wir in der Sache? Oder überlassen wir das den Kollegen?“, fragte er mich, während er mit einer herablassenden Geste auf einen in dem Moment vorbeifahrenden Polizeiwagen zeigte. „Lass uns erst einmal überprüfen, ob die Betreiber der Tankstelle bereits vom veränderten Banner Kenntnis besitzen“, schlug ich emsig auf meiner Pfeife kauend vor.
Fast geräuschlos gewährte uns die automatische Schiebetür Einlass. Der typische Tankstellengeruch wurde von dampfenden Bockwürsten und billigem Fliesenreiniger abgelöst, eine meine Nase überfordernde Kombination. Ähnliche olfaktorische Verwirrungszustände kannte ich bis dato lediglich von größeren Familienessen, wenn Oma Karpfen in Biersoße zubereitet hatte und die ältere Verwandtschaft entweder nach 4711 oder Aftershave roch. An der Theke stand ein demotivierter Mitarbeiter, dem die Arbeitskleidung in Corporate Design nicht wirklich stand. Auf den Tresen gebeugt, begrüßte er uns mit einem lustlosen Nicken. Ich führte meine Pfeife zum Mund, kaute abermals auf ihr herum und nickte dann emotionslos zurück. Qual machte mich mit einer Kopfbewegung auf zwei kleine Farbeimer nebst Pinsel, einer rot und der andere weiß, vor den Toiletten aufmerksam. Der Fall war völlig klar.
Für den Mitarbeiter völlig überraschend zückte ich daraufhin plötzlich meine Lupe, machte einen Satz auf ihn zu und betrachtete sein Antlitz genauestens. Im Vergrößerungsglas war sein rechtes Auge zu sehen, das mich ungläubig und auch ein wenig angsterfüllt anstarrte. „Sie sehen sehr blass aus“, flüsterte ich ihm zu. Der Mann schluckte. „Waren Sie heute schon auf der Toilette?“, fragte ich ihn bellend. Verwirrt sah er mich an. „Na Sie wissen schon: den Porzellangott angebetet, einen Torpedo abgefeuert, ein Fax aus Darmstadt empfangen?“, half ich ihm auf die Sprünge. Verstört schüttelte er den Kopf. „Das war ja klar. Dann muss ich Sie bitten Ihr Banner zu ändern oder zu entfernen. Unlautere Kundenversprechen sind kein Kavaliersdelikt. Haben wir uns verstanden?“ Inzwischen völlig verschwitzt nickte mir der Mitarbeiter hastig zu und sank dann heulend zu Boden.
Zufrieden gingen Qual und ich nach draußen. „Woher wusstest du, dass es sich um eine Wirtschaftslüge handelt und nicht um die Tat eines frustrierten Mitarbeiters, der seinem Arbeitgeber schaden möchte?“, wollte er von mir wissen. „Ach weißt du“, begann ich zu erklären, „man muss seine Nase nur tief genug hineinstecken, wenn man herausfinden will, um welchen Mist es sich handelt.“
Stiltest: Melinda Nadj Abonji