Qual und die Erfindung II

Mehrere Minuten verharrte ich schweigend, Qual ebenso. Nicht nur deswegen war es wortwörtlich gespenstisch still, auch der Wind hatte sich scheinbar in Erwartung von etwas Großem beruhigt. Sogar die ansonsten stets hörbaren Umgebungsgeräusche verstummten oder wurden in meiner Wahrnehmung ausgeblendet. Der Nachbar hörte auf den Rasen zu mähen, die viel größere Katze jagte dem deutlich kleineren Hund nicht mehr hinterher und der Fahrer des Eiswagens ließ vom Betätigen seines Knopfs für die Melodie mit der hypnotischen Wirkung ab. Alle Welt wartete auf Quals Auflösung der Geschichte. Nur das Mickey Mouse-Furzkissen säuselte in einer Kiste weiter leise vor sich hin.

Doch nichts geschah. “Wie, das ist alles? Kein überraschendes Feuerwerk, keine ausgeklügelte Präsentation und keine Sensationsenthüllung deines Meisterwerks?”, fragte ich schließlich, als Qual nach wie vor nicht den Anschein machte, noch irgendetwas aus den Ärmeln zu schütteln. “Nichts kam über die Beta-Version hinaus. Meistens gab es nicht mal ein richtiges Alpha oder dergleichen”, stellte er resigniert fest. Ich ignorierte seine Antwort: “Wo ist es? Ist es unsichtbar, laufe ich gleich dagegen? Tarnkappenmodus?” Meine Hände fuchtelten auf der Suche nach was auch immer im leeren Schuppen herum, bis auf eine fette Fliege, die erbost davonbrummte, erwischten sie nichts. “Etwas zu erfinden ist gar nicht so leicht. Eigentlich gibt es schon alles, was man braucht. Jetzt kommen größtenteils nur noch Verbesserungen heraus”, erklärte Qual, “ich habe versagt.” Mitleidig sah ich ihn an. “Dann versuche nicht die Probleme der heutigen Zeit zu lösen, sondern erfinde etwas für die Zukunft. Bald gibt es bedeutend mehr Menschen der älteren Generation in unserer Gesellschaft, damit muss man doch etwas anfangen können.” “Du hast recht. 3D-Brillen mit integrierter und vor allem automatisch anpassender Sehhilfe, flugfähige Elektrorollstühle auf Photovoltaikbasis und in Kaustärke und -geschwindigkeit programmierbare Gebisse!”, strahlte Qual.

Qual und die Erfindung I

Seit Tagen hatte sich Qual in unserem Werkzeugschuppen im Garten verschanzt. Nur hin und wieder holte er sich Pakete in allen möglichen Größen bei mir ab, in denen die unterschiedlichsten Utensilien zu finden waren. Neben diversen LED-Leuchten bestellte er unter anderem je einen Gummi-, Dengel-, Klauen- und Geologenhammer, 120 Wattepads, 10 Kilogramm Hafnium-Späne, eine Fahrradhupe samt Rückspiegel und die aktuelle Ausgabe des Micky Mouse Magazins mit einem Furzkissen oder Ähnlichem als Extra.  Diese Mischung an Artikeln warf einige berechtigte Fragen bei mir auf. In erster Linie wunderte es mich allerdings am meisten, warum in der Mickey Mouse nach wie vor nur Furzkissen als lumpige Beilage zu finden waren. Furzkissen und Urzeitkrebse, manchmal auch ein Detektivset. Ich schwelgte kurzzeitig in Kindheitserinnerungen.

Die nächste Lieferung, diesmal eine Kiste Duftbäume für das Auto in der Ed Hardy Los Angeles Bulldog Edition, brachte mich dann schnell wieder auf andere Gedanken. Wozu er das alles brauchte, sagte Qual mir natürlich nicht. Darauf angesprochen, äußerte er meist nur ein unzufriedenes Murren und verschwand wieder für einige Stunden in seiner Werkstatt. Manchmal blieb er auch nachts in selbiger, dann konnte man nicht nur sein regelmäßiges Fluchen und Poltern vernehmen, sondern mit der Zeit mal wieder die gesamte Discografie der Beastie Boys, die er während seines Schaffensdrangs durch die Boxen jagte, durchhören. Erneut schwelgte ich in Kindheitserinnerungen. Unerwartet öffnete er mir schließlich an einem Montag nach drei Monaten, vierzehn Tagen und sechs Stunden die Schuppentür zu seinem bis dato als streng geheim eingestuften und daher für mich nicht zugänglichen Projekt. Ich staunte nicht schlecht, als ich merkte, dass der Raum bis auf die wieder sorgfältig zusammengepackten Kartons völlig leer war. “Jetzt bist du überrascht, was?”, sagte Qual.

Qual und die Werbung

Willst du viel, spül mit…Zapp! …dem neuen Staubsauger von… Zapp! …führenden Pharmaunternehmen… Zapp! …nur diese Woche mit 0%-Finanzierung. Zapp! Herzhaft wie… Zapp! …Scheidenpilz… Zapp! und mit einem Wisch ist alles weg. Zapp! Herkömmliche Waschmittel… Zapp! …vertrauen auf… Zapp! …die serienmäßige Einparkhilfe, die… Zapp! …macht Kinder froh und…Zapp! …damit kann man sogar reiten, schwimmen und Fahrrad fahren. Zapp! “Bist auch du auf der Suche. nach einem erotischen Abenteuer in deiner Umgebung? Ruf an! Heiße Frauen ab 80 wart…”ZAPP! “Heute läuft echt gar nichts im TV”, stöhnte Qual und machte den Fernseher aus.

Qual und der Supermarkt

Unser Kühlschrank war mehr als leer (in einer lustigen Parallelwelt wäre er sicherlich implodiert),deshalb gingen Qual und ich zum nächstgelegenen Supermarkt. Nach zwei Stunden, in denen er jedes Produkt genauestens inspizierte, bevor es im Wagen landete, waren wir so gut wie fertig. “Brauchen wir noch etwas?” Fragend sah ich Qual an. “Ja, Cornflakes!”, antwortete er und deutete auf die Packung vor ihm.” Ich schaute auf den Preis. “Nein, nicht die. Wir nehmen andere. Die hier sehen gut aus.” Mein Griff ging in die unterste Regalreihe, doch Qual protestierte: “Aber warum denn? Die haben keinen Tiger! Siehst du das? Kein Tiger!” Mir war bewusst wie dämlich es aussehen würde, wenn mich jemand dabei erwischt, wie ich scheinbar mit der Luft diskutiere. Dennoch nahm ich mir die Zeit, um ihm gestenreich die Bedeutung von Marken und deren Auswirkungen auf die Preisbildung in der Lebensmittelindustrie zu erklären. Er verstand.

Letztlich haben wir, zu meinem Leidwesen, trotzdem den Tiger gekauft. “Jetzt haben wir die Katze im Sack”, frohlockte Qual. “Und zu Hause beschwerst du dich natürlich wieder über die Mogelpackung und äußerst Verschwörungstheorien, wer dir die Cornflakes weggefuttert haben könnte.” Quals Blick verfinsterte sich. “Ich sage dir, Frau Schneider ist nur zur Tarnung mit dem Hausmeister liiert. In Wahrheit stibitzt sie ihm regelmäßig den Generalschlüssel und isst in sämtlichen Haushalten die Frühstücksflocken weg. Durchtriebenes Luder…” Ich verdrehte die Augen. “Jetzt reicht es aber, die Dame ist fast achtzig Jahre alt!” “Sie soll sich ja auch nicht vom Dach abseilen und durch das Fenster rein. Wobei, als ehemalige Pfadfinderin hat sie es bestimmt noch drauf…Wer eklige Kekse verkaufen kann, dem trau ich alles zu!”

Qual und das Universum

“Glaubst du eigentlich daran, dass es Außerirdische gibt?”, fragte ich Qual. Er überlegte lange. Drei 5-Minuten-Terrinen später sagte er: “Sich weiter auszudehnen, ist auf jeden Fall das Beste, was das Universum machen kann. Solange ihr damit beschäftigt seid irgendwelche Gesetzmäßigkeiten zu ergründen, kommt ihr nicht auf dumme Gedanken. Von eurer technischen Begrenztheit bis in die tiefsten Tiefen vorzudringen mal ganz zu schweigen. Bislang musste ja stets jemand unter eurem Entdeckergeist leiden. Nimm die Dodos auf Mauritius. Kaum entdeckt, schon wurden sie verspeist.”

“Und was ist nun die Antwort auf meine Frage?”, hakte ich erneut nach. “Verzeih. Ich bin mir noch nicht schlüssig, welche Option ich persönlich ansprechender finde. Wenn es keine Aliens gibt, wäre der Mensch wohl die intelligenteste Lebensform im Universum. Und das könnte man als ein wirkliches Armutszeugnis betrachten. Ganz im Ernst, da muss es doch noch Alternativen geben. Andererseits würde ich gern das Gesicht sämtlicher NASA-Mitarbeiter sehen, wenn nach Jahrzehnten der Forschung und dem ganzen Geld, das in die Entwicklung und dergleichen gesteckt wurde, die Nachricht kommt: Sorry Jungs, da draußen gibt es in der Tat absolut gar nichts…nur Meteoriten, ein Haufen Sterne und alte, russische Satelliten.”

Qual und die Disco

“Kannst du mir bitte nochmals erklären, warum genau wir hier sind?”, erkundigte sich Qual gelangweilt. “MAKE SOME NOISE!”, forderte uns der DJ auf. “Wir feiern den Geburtstag von zwei Freunden. Entspann dich, es wird schon noch witzig!” Meine Überzeugungskraft schwand an diesem Abend proportional zum konsumierten Alkohol. Qual hörte daher leider nicht auf zu nörgeln: “Versteh mich nicht falsch, aber wer freiwillig eine Geruchsmischung bestehend aus Schweiß, Zigarettenqualm und verkipptem Alkohol in der Nase erträgt und sich dabei nicht im Nachtbus nach Hause befindet, hat doch offensichtlich eine absurd niedrige Ekelschwelle. Und die Toiletten waren in der Rechnung noch gar nicht dabei!” “RE RE RE REMIX!”, tönte es vom Pult.

“Ach komm! Selbst wenn es hier nach Miesmuscheln und Krabbencocktails riechen würde, könntest du dich doch nicht für den Laden begeistern! Was ist dein Problem?” Qual verzog schnippisch das Gesicht. “Ich habe kein Problem, aber Geisterwale sind hier wahrscheinlich einfach nicht das Zielpublikum. Hier vergnügen sich nur wandelnde Testosteron-Haufen auf der Suche nach Kopulationspartnern. Mitteleuropäische Stockenten wechseln zur Balz extra in ihr so genanntes Prachtkleid. Hier zeigen sich Frauen beeindruckt, wenn sich Männer aus Leuchtstäben Brillen und Ketten bauen. Und der Bass! Im Grunde muss sich nicht mal jemand bewegen, die Vibration lässt alle Beteiligten von allein auf und ab hüpfen.” “PUT YOUR HANDS UP FOR DETROIT!” Jetzt reichte es ihm: “Ich habe Flossen du Arsch!”

Qual und die Nebenjobs I

Um unseren klammen Geldbeutel ein wenig aufzubessern, suchten Qual und ich in Inseraten nach passenden Nebenjobs für mich. “Du könntest doch Babysitter werden”, schlug Qual schließlich vor. “Du arbeitest eh am liebsten von zu Hause aus. Ist zwar in dem Fall nicht deins, aber immer noch besser als ein steriles Büro. Außerdem ist das sicherlich mal gut für dein Ego, wenn du in einem Gespräch ausnahmsweise nicht intellektuell unterlegen bist. Was sagst du?” Qual tippte mit erwartungsvollem Blick auf die Anzeige.

Betreuung für 2 Kinder im Schulalter: Wir suchen für unsere Kinder (Sohn Erwin (8) und Tochter Felicitas (6)) einen netten Aufpasser, gerne auch älter, der sich diese Aufgabe zutraut.

“Unterschätze bitte kleine Kinder nicht. Das hat man mit den Halblingen in Mittelerde auch gemacht. Am Ende haben die Hobbits dann allerdings den Ring zerstört”, gab ich zu bedenken. “Und der Begriff “Aufpasser” schreckt mich hier sowieso ab. Wer schreibt denn Aufpasser? Klingt ja schon fast wie Wärter. Ich sage dir, dass das mit Sicherheit keine normalen Dreikäsehochs sind.” Qual fing lauthals an zu lachen. “Hast du Angst vor Minimenschen? Was sollten die dir denn tun können?” Mit erhobenem Zeigefinder mahnte ich: “Mag sein, dass sie im offenen Kampf mit mir chancenlos sind. Doch sie sind in der Überzahl und bewegen sich auf gewohntem Terrain. Das ist ein Heimspiel für die, ein entscheidender Vorteil.” Mit besorgter Miene beschwichtigte mich Qual: “Geh mal doch lieber Zeitungen austragen…”