Qual und der Boxkampf

“Am Samstag boxt Klitschko wieder”, entnahm ich dem Sportteil unserer Tageszeitung, “diesmal gegen einen Franzosen.” Qual schaute mich verdattert an. “Ich bin ein pazifischer Pazifist im Endstadium. Zu sehen, wie sich zwei Menschen die Rübe einschlagen, mag zwar irgendwo für den gemeinen Pöbel amüsant sein, entspricht aber alles in allem nicht meiner Weltanschauung. Erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass dieser Art des Kräftemessens kein natürlicher Konflikt zugrunde liegt, sondern die simple Gier nach roher Gewalt seitens der Zuschauer und die Hoffnung der Boxenden, durch Einsatz ihrer Muskeln und ausgefeilter Technik zu Ruhm und Ehre zu gelangen und damit trotz ihres fehlenden Intellekts einen höheren Rang in der Gesellschaft einzunehmen. Es wäre allerdings für die Erde insgesamt eine feine Sache, wenn die gesamte Menschheit spontan auf die Idee käme, sich permanent zu prügeln. Dann hätte sie vielleicht weniger Zeit für Ölbohrungen, Atombomben, Tofu und den ganzen anderen Kram. Ach ja, und du wirst Zahnarzt.”

Ich fasste mir an die Stirn. “Bist du überhaupt für Sport zu begeistern? Ohne das Boxen verteidigen zu wollen, aber immerhin tragen sie Handschuhe. Und zumindest beim Schachboxen gibt es sicherlich auch Gegner mit Grips”, gab ich zu Protokoll. “Ach weißt du…dieser ganze Drang sich zu vergleichen, immer neue Rekorde aufzustellen und irgendwo der Beste zu sein…Im Tierreich geht es um Weibchen oder Ressourcen. Hauptsächlich um Weibchen. Ihr jedoch macht ein riesiges Spektakel daraus, investiert Unsummen, nur um der Unterhaltung willen, klagt aber andererseits über Staatsschulden und Armut. Eure Prioritäten geben mir noch zu denken. Wobei ich zugeben muss, dass ich die Halma-Weltmeisterschaften doch recht intensiv verfolge. Und eure Weibchen scheinen sich von Fußballern auch eher beeindrucken zu lassen als vom klassischen Quantenphysiker.”

Qual und die Bahn I

Wir befanden uns an einem gut gefüllten Provinzbahnhof und warteten auf unseren Anschlusszug, als der Lautsprecher plötzlich knackte und die Menge in etwa mit folgender Ansage beschallte:

“Werte Fahrgäste! Bitte beachten Sie: Der Regionalexpress C3-PO von X nach Y wird voraussichtlich zehn Minuten später eintreffen. Wenn wir voraussichtlich sagen, trifft das in 95% der Fälle auch zu. Wir bitten Sie die Verspätung zu entschuldigen und danken Ihnen für Ihr Verständnis! Ach ja, please mind the gap und so. Viel Spaß noch…ihr Würstchen! Haha, macht auch immer wieder Laune. Da werden die Jammerlappen wieder mächtig erbost sein…oh, ist das Mikro noch an? Sch…” Knack.

Innerhalb eines Augenblicks nach Verstummen der Anlage verwandelte sich der bis dato ruhige Bahnhof in eine hektische Bundestagssitzung. Handys wurden gezückt, Termine bei Zahnärzten, Rechtsanwälten und Thai-Masseusen verschoben. Kleine Kinder riefen nach ihrer Mama, obwohl sie zuvor ohne die betreffenden Mütter am Gleis angekommen waren. Ein älterer Herr ließ seine Krücken fallen und rannte schreiend davon: “Das ist das Ende!!!” Schulterzuckend sahen wir uns an. “So was Blödes! Wir kommen zu spät!”, stellte ich fest, “Anscheinend bekommen die auch nichts mehr gebacken.” Qual beobachtete seelenruhig die Szenerie und zeigte keine Anzeichen von Wut. “Beschwer dich bitte nicht so sehr über meinen neuen Arbeitgeber, ihr seid doch nur Sklaven eurer eigenen Erwartungshaltung”, bremste er mich schließlich. “Was meinst du mit Arbeitgeber? Und wieso Sklaven?”, fragte ich verwundert. “Nimm erstmal einen Kaugummi, dann erklär ich dir alles”, versprach Qual.

Qual und der Oscar

Integrationskuh

Die Integrationskuh, multicolor - Bild: Tati Schröder

“Die Oscar-Verleihung wird heute übertragen, willst du mitschauen?”, fragte ich mit einer Schüssel Popcorn in der Hand.  Qual antwortete giftig: “Der einzige Filmpreis, der mich interessiert, wurde schon Ende Januar vergeben.” Ich ging die Liste der mir bekannten Filmpreise durch, kam aber zu keinem Ergebnis. “Und der wäre?” Ungläubig, ja geradezu fassungslos, schaute Qual mich an. “Na der Jussi!” Mein nach wie vor ahnungsloses Gesicht bewegte ihn dazu mich schulmeisterlich aufzuklären:

“Das ist der finnische Filmpreis. Heißt übersetzt Hans und sieht einfach sympathisch aus. Männchen mit Hut, schlicht in weiß gehalten. Das nenn ich bodenständig. Der wird noch mit Herz verliehen, da geht es um Emotion und Leidenschaft für den finnischen Film. Wer den bekommt, ist wirklich stolz wie Oskar. Im Gegensatz dazu die Amerikaner und ihr Goldrausch, das kennt man ja aus der Geschichte. Und überhaupt: Deren Trophäe an sich ist doch einfach mal sinnfrei. Was hat denn ein nackter Mann samt Schwert mit Filmen zu tun? Wenn er wenigstens in kriegerischer Pose zu sehen wäre, das würde ebenfalls eher ihrem Naturell entsprechen. Obwohl, in Rambo-Haltung wär die Bahn frei für den Blick auf sein Gemächt, da sind sie wieder zu prüde. Naja, wie auch immer.” Qual hielt kurz inne, war aber inzwischen zu sehr in Rage, um es dabei belassen zu können. “Die Logik dahinter…da kann man ja gleich eine bunte Kuh mit Helm als Integrationspreis vermarkten!”, echauffierte er sich. “Naja, findest du denn unseren entsprechenden Bambi passender?”, umging ich jedwede weitere Diskussion rund um den Oscar. “Der Bambi repräsentiert als urdeutsches Rehwild mehr als alles andere unsere Kultur. Außerdem hat er kein Schwert, das ist die Hauptsache.”

Qual und das Horoskop

“Sie überschätzen wieder ihre Kräfte. Wenn ihr Körper die ständigen Härtetests satt hat, wird er eine Zeit lang streiken!”, las Qual mir vor, “Erfolgswut macht engstirnig!” Ich musste lachen. “Wer an die Bedeutung von Sternkonstellationen glaubt, kann auch aus einem Kaffeesatz lesen.” Qual blickte kurz über den Rand der Zeitung. “Aber so verkehrt klingt das doch gar nicht!” Ich setzte mich zu ihm an den roten Küchentisch und ging mit ihm weitere Horoskope durch. “Natürlich klingt das nicht verkehrt, muss ja allgemein und auf jeden anwendbar sein. Radioaktive Fruchtfliegen oder ein Furunkel am Gesäß wären da zu speziell.”

Aus Langeweile überprüften wir sämtliche Botschaften. “Zur Belustigung können die allerdings manchmal ganz hilfreich sein. Gefährlich wird es, wenn man seinen Alltag danach ausrichtet, was man gelesen hat. Schau mal, Fische.” Qual schüttelte den Kopf: “Ich bin aber Säugetier, daher eher Wassermann!” Ich las also: “Am Arbeitsplatz: cool bleiben! Dass ihrem Gegner jedes Mittel recht ist, darf Sie nicht verleiten, ebenso zu handeln.” Wie auf Kommando kam Kater Peter zur Tür herein und legte sich in seine Ecke, sehr zu Quals Ärger, der sein Horoskop wieder nur in eine Richtung interpretierte. “Lies mal vor, was die Sterne zu Peter sagen. Stubentiger gibt es ja nicht, nimm Löwe”, bat ich ihn. Qual trug missmutig vor: “Sie sind krisenfest genug, um unangenehmen Situationen ins Auge zu schauen. Werden sie erwachsen, stellen sie sich der Realität!” Triumphierend schaute er zu unserem Vierbeiner: “Da hast du es, Peter! Still watching you!”

Qual und der Kater

Der schwarze Peter - Bild: Tati Schröder

Der schwarze Peter – Bild: Tati Schröder

„Weißt du, ich finde, wir sollten mal … AAAAARHG!“, entfuhr es Qual, als er den kleinen Kater im Zimmer erblickte.

„Das ist Peter, der ist uns einfach zugelaufen“, klärte ich Qual auf.

„Zugelaufen? Peter hat hier an der Tür geklingelt und gemeint Hallo, ich bin der Peter, ich wohn jetzt hier? oder was?“

„Na ja, zumindest ist er mir auf der Straße permanent nachgelaufen und saß ständig am Brief­kasten.“

Qual schaute skeptisch. „Und was nun? Sind wir jetzt Auffangstation für arme Seelen?“

„Du hast dich auch nicht gerade höflich angemeldet. Also gleiches Recht für alle. Vielleicht wird er irgendwo vermisst. So klein sind Kater bestimmt nur kurz nach der Geburt. Wenn wir nur wüssten, wie alt er ist.“

„Das ist einfach: Aufschneiden und Jahresringe zählen.“

Qual schaute auf das dunkle Fell von Peter und ergänzte: „Du bist wieder mal zu gut für die Welt. Da will jemand das Vieh loswerden, und du lässt dir den schwarzen Peter zuschieben!“ Ich überlegte: „Er bleibt ja nicht für ewig. Aber zumindest solange, bis wir was über ihn herausgefunden oder überhaupt eine alternative Bleibe für ihn haben. Vertragt euch, hab grad keinen Nerv für Katz-und-Wal-Geschichten!“

Ich ging in die Küche und suchte das Abendbrot zusammen, während Qual um Peter herum tigerte und in einem Fort drohend flüsterte: „Ich beobachte dich, Freundchen!“

 

Qual und das Bad

Mit schmerzverzerrtem Gesicht schlich ich in die Küche. Qual saß am roten Küchentisch und stu­dierte die Zeitung. Erfahrungsgemäß konnte dies eine Weile dauern.

Als lediglich der Lokalteil übrig war, der noch weniger Aufmerksamkeit von ihm bekam als ich, wandte er sich mir zu. „Wen hast du denn beim Duschen verdroschen? Bist du jetzt der neue Bad Spencer?“ Seinen Wortwitz ignorierend, erzählte ich: „Bin ausgerutscht und gegen eine Fliese ge­kracht. Hätte nicht gedacht, dass ich das mal sage, aber wir haben unser Bad zu gründlich geputzt. Der leichte Schmutzfilm hat doch immer für einen gewissen Halt gesorgt. Jedenfalls können wir unsere geplante Runderneuerung schon eher in die Tat umsetzen.“

„Und was schwebt dir da jetzt vor?“, erkundigte sich Qual, der kurz überlegt zu haben schien, ob er nicht doch noch nach dem Lokalteil greifen sollte.

„Hauptsache keine Terrazzoplatten, die sieht man inzwischen wieder viel zu oft. Hotels mit Terrazzoplatten spielen auch Bach auf der Toilette.“

Auch wenn Qual und ich oft nicht einer Meinung waren, so stimmten wir doch in der unserer Ansicht nach zu herrschenden Ruhe auf dem Abort überein, also ergänzte er ironisch: „Stimmt. Am besten dann noch seine Kantate Weinen, klagen, sorgen, zagen, damit man den Verzehr der miesen Mies­muscheln vom Buffet des Vorabends noch mal so richtig angemessen bereuen kann.“ Er gluckste freudig bei der Premiere seines neuesten Kopfkinos. „Meinst du nicht doch eher die Pilze mit Pilz­befall?“, vergewisserte ich mich lächelnd. „Allzu saure saure Gurken?“ Ich musste über­legen. „Pappige Paprika?“ Qual schüttelte den Kopf. „Okay, der letzte war nichts, du hast gewon­nen. Hast du Hunger?“, fragte ich. „Jetzt nicht mehr.“

Qual und die Blutspende

Amüsiert sah ich Qual zu, wie er auf seine typische Art und Weise hektisch den Raum im Zickzack durchquerte. “Ich kann einfach kein Blut sehen…das lockt nur Haie an!” rechtfertigte er sich. “Und davon mal abgesehen: Wenn es Vampire geben sollte, ist das hier ein Präsentierteller für die!” Entspannt lag ich auf einer Entnahmeliege im Dachgeschoss des Gebäudes, das normalerweise als Treffpunkt für Senioren diente, die dort bei Kaffee und Gebäck ihre Krankheitsgeschichten und Wetterprognosen austauschten. Im Ernst, kein Frosch der Welt ist bei der Vorhersage so präzise wie eine Truppe Rentner mit Felderfahrung.

“Vampire gibt es nicht. Obwohl, das hab ich von Geistern bisher auch gedacht”, versuchte ich ihn zu beruhigen, “trotzdem ist es richtig Blut zu spenden. Es dauert nicht lange, man bekommt am Ende was zu essen und es hilft denen, die es brauchen.” Qual gefiel das dennoch nicht: “Warum musste ich ausgerechnet an den Menschen geraten, der sein Blut verteilen will wie ein Rasensprenger Wasser?! Deine Blutgruppe ist ja nicht mal selten, du bist wieder mal nur ein Teil der breiten Masse!” Da hatte Qual nicht ganz Unrecht, dennoch wusste er, dass das nichts ändern würde. Schweigsam drehte er seine Runden, bis es triumphal aus ihm herausplatzte: “Und was ist mit Samenspenden? Die helfen auch den Menschen, die sie brauchen!”