Qual und die Poesie III

“Duuuuu?” “Ja?” “Ich hab wieder was geschrieben…”, sagte Qual. “Du machst das mittlerweile echt gern, was? Na dann schieß mal los.”

Haarsträubend

Es saßen zwei Katzen mit Glatzen
auf der Treppe und zogen Fratzen

Da berührte eine Katze mit der Tatze
der anderen Katze Glatze Mehr davon!

Qual und die Musik

“Beherrschst du eigentlich ein Instrument?”, fragte mich Qual eines Tages. “Nein, nicht wirklich.” “Und kannst du singen?”, fragte er weiter. “Ja, aber nur schlecht. Und nur unter bestimmten Voraussetzungen freiwillig.” Qual grübelte. “Wieso ist das so?” “Tja, ich hatte nie Talent, geschweige denn Begeisterung dafür gezeigt. Obwohl wir im Kindergarten und auch noch in der Grundschule ziemlich oft so taten, als hätten wir eine Band gegründet. Das fanden wir irgendwie cool. Wir haben manchmal in einer Woche mehr Bands gegründet und wieder aufgelöst, als Popstars (ja, wir standen später sogar eine Zeit lang auf Bro’Sis) und sämtliche andere Castingshows zusammen. Als ich vier oder fünf war, hatten wir bei einem Tag der offenen Tür sogar einen großen Auftritt.” “Einen Auftritt?”, horchte Qual auf. “Naja, groß hieß für uns damals, dass mehr Erwachsene als Kinder anwesend waren. Wir haben “Alles nur geklaut” von den Prinzen Playback aufgeführt. Unsere Mikrofone waren die übrig gebliebenen Papphülsen vom Toilettenpapier, an die man an ein Ende Papierkugeln als Kopfstück geklebt hatte. Früher war man ziemlich leicht zu begeistern.” Mehr davon!

Qual und das Radio

Wir saßen in der Küche und aßen Abendbrot. Qual schien nicht wirklich Appetit zu haben, vielmehr stocherte er nervös in seinem Auflauf herum. Im Hintergrund lief das Radio. Da Qual nicht zum Reden aufgelegt war, hörte ich genauer hin.

und gleich bei QualFM: Interview mit einem Vampir in Hörspiel-Kurzfassung, von mir persönlich, Ukulele spielend, vorgetragen

…“

Mir fiel die Gabel aus der Hand.

„Ist es das, was ich denke?“, wollte ich ungläubig wissen.

„Genau! Unser eigener Piratensender! Wir sind jetzt sozusagen radioaktiv“, freute er sich.

Ich fragte mich, wie groß dieser Eisberg noch sein würde, von dem Qual immer neue Spitzen auf mich losließ. „Was geht in deinem Kopf eigentlich vor? Was wollen wir mit einem Sender? Und was hat das schon wieder gekostet?“

„Wir sind der erste Spartensender, dessen Spartenprogramm täglich wechselt. So gesehen eine akustische Wundertüte. Das fasziniert die Hörer. Endlich weg von den immer gleichen Playlists. Und die Kosten? Ach, das finanziert sich am Ende doch ohnehin größtenteils duch Werbung.“

„Qual!“, echauffierte ich mich. „Niemand zahlt Geld an einen illegalen Sender!“

Er schnaubte trotzig. „Da sieht man mal wieder, wie der kreative Geist durch den Staat eingeengt wird. Die Gedanken sind vielleicht frei, aber sonst heißt es überall: Lizenzen! Zum Angeln eine Angellizenz, bei YouTube spielt die GEMA verrückt und selbst James Bond braucht eine! Ohne Moos ist halt wirklich nichts los. Aber das ist eigentlich nicht weiter dramatisch, die Anlage war günstiger, als du vielleicht denkst. FM-Transmitter sind inzwischen legal, ansonsten ein Tonbandgerät hier, eine Antenne da. Fertig! Heutzutage kann ja jeder Depp Radio machen“, klärte er mich auf.

„Ach, sag bloß!“ Ich zeigte auf ihn. „Dann bist du Beweisstück A!“

Qual und die EM

Das war es also. Wieder mal. Aus, vorbei. Erneut zwei Jahre warten. Zwei quälend lange Jahre. Mit packenden Qualifikationsspielen gegen die Färöer Inseln. Kasachstan und Österreich sind ebenfalls dabei – die nächste Todesgruppe! Stöhn. Qual und ich können es nicht fassen. Was ist passiert?

Bis gefühlt eben noch herrschte Euphorie allerorten, zuweilen auch etwas wie Siegesgewissheit. Eine Gewissheit, die ansteckend war. Wenn eine Gruppe von Frauen, reich beschmückt mit Fanutensilien, im Vorfeld der Partie mit Inbrunst in der Stimme von einem klaren Triumph gegen Italien spricht, dann muss das doch auch klappen. “Zoooooonk!”, korrigiert mich der herbeigeeilte Zonk und schüttelt milde seinen Kopf. Es klingt wie der finale Pfiff des Schiedsrichters. Oder besser gesagt: Der finale Halbfinale-Pfiff. Letzter Freistoß, der Ball in der Luft, aber dann: “Zooooonk!” Der französische Schiedsrichter Lannoy brauchte für dieses Geräusch nicht mal seine Pfeife, diesen Ton pressten seine Arschbacken vorschnell in freudiger Erregung heraus. Ein Zonk also für das DFB-Team. Nicht mal der kleine Philipp Lahm freut sich über das neue Plüschtier. Leider das falsche Tor gewählt, würde es in der Show heißen. Gestern standen sogar nur zwei Tore zur Auswahl, das richtige wurde nur nicht oft genug beballert…

Schiedsrichter Lannoy kurz nach dem Spiel: “Ich pfeife, also bin ich!”

Schlusspfiff also. Was folgte, waren bekannte Bilder und bekannte Emotionen. Wie vor zwei Jahren. Wie vor vier Jahren. Wie vor sechs Jahren. Und wie vor 13 Jahren, als mir mein Lieblings-Spielzeugauto vom Balkon fiel und auf der Straße zerschellte. Eine Oma fuhr anschließend noch mit ihrem Rollator drüber. Qual und ich fühlten uns nach Spielende wie mein Spielzeugauto. Irgendwie gerädert. Schrecklich langsam gerädert, von einer italienischen Greisin auf dem Weg ins Altersheim in Slow-Motion überrollt. Wäre Balotelli doch nur ein Rentner gewesen…So allerdings betätigte er sich als Zauberer. Aus einer Fanmeile in Partystimmung machte er schwuppdiwupp einen Kinosaal, in dem grad “König der Löwen” läuft. Und zwar genau in der Szene, in der Mufasa stirbt. MUFAAAASAAAAA! Das Gute daran: Wir wissen alle, wie der Film ausgeht. Simba kehrt zurück, zeigt Eier und wird doch noch König. Aber wer soll das bei uns sein? Simba Götze? Simba Reus? Simba-Sami Khedira? Und Löw ist Rafiki? Wer weiß.Zwei Fortsetzungen gibt es auch, aber die kennt ja keiner.

Gestern fuhren wir nachts noch mit der S-Bahn. Eine junge Frau weinte herzergreifend Rotz und Wasser. Haben uns spontan an Super Mario 2 erinnert. Da gab es Nilpferd-Statuen, die Rotzblasen absonderten, in denen man durch die Gegend fliegen konnte. Qual und ich tun jetzt genau das. Einfach davonschweben, der Sonne entgegen. Nächster Landetermin: Brasilien, 2014. Na dann…

Qual und die Zeit

“Kommst du nun mit zur Ausstellung?”, fragte Qual. “Nein, leider nicht. Ich hab noch was zu erledigen, die Arbeit muss bis morgen fertig werden”, sagte ich ohne meinen Blick vom Laptop zu wenden. Qual wirkte enttäuscht. “Wieso musst du auch so viel arbeiten?” Nun sah ich ihn doch an. “Du trägst ja nichts zur Miete bei, im Gegenteil. Außerdem ist es irgendwie ein schönes Gefühl, wenn man weiß, dass man sich etwas leisten kann.” Quals Gedanken in seinem Kopf schwirrten in diesem Moment wahrscheinlich so wie er durch die Küche herum.

Er erwiderte schließlich: “So sehr ich es auch genieße, mal den teuren Käse zu konsumieren, so missfällt es mir, dass du zurzeit eben keine Zeit hast. Es stimmt: Zeit ist Geld, weil du beim Arbeiten letzteres verdienst. Und das braucht man in eurer Gesellschaft in der Regel nun mal. Aber Geld ist nicht Zeit. Da liegt das Problem. Was bringt dem Menschen Reichtum, wenn er dafür Augenblicke unwiederbringlich verrinnen lässt? Wenn du alt bist, hast du vielleicht finanzielle Sicherheit, aber zu welchem Preis? Worauf hast du bis dahin verzichtet? Was du verpasst hast, kannst du mit keinem Geld der Welt zurückkaufen.” Er hatte Recht. Trotzdem musste ich ihn zumindest an diesem Tag vertrösten. “Ich bin ja noch kein Workaholic, keine Bange. Die Balance stimmt bei mir.” Qual schaute mich schief an. “Ach ja? Wann warst du denn das letzte mal beim Fußball? Wie oft holst du deine Lieblingseisenbahn aus Kindertagen vom Dachboden? Mit wem wolltest du dich mal längst wieder treffen?” “Na gut, Schachmatt. Was soll ich tun?” Qual nickte zufrieden. “Erst machst du dein Projekt fertig, die Pflicht ruft. Und morgen kaufst du neuen Käse. Nach der Arbeit kümmere ich mich dann um das Vergnügen. Betrachte mich als deinen persönlichen Zeitgeist”, sagte Qual augenzwinkernd.

Qual und die Erfindung II

Mehrere Minuten verharrte ich schweigend, Qual ebenso. Nicht nur deswegen war es wortwörtlich gespenstisch still, auch der Wind hatte sich scheinbar in Erwartung von etwas Großem beruhigt. Sogar die ansonsten stets hörbaren Umgebungsgeräusche verstummten oder wurden in meiner Wahrnehmung ausgeblendet. Der Nachbar hörte auf den Rasen zu mähen, die viel größere Katze jagte dem deutlich kleineren Hund nicht mehr hinterher und der Fahrer des Eiswagens ließ vom Betätigen seines Knopfs für die Melodie mit der hypnotischen Wirkung ab. Alle Welt wartete auf Quals Auflösung der Geschichte. Nur das Mickey Mouse-Furzkissen säuselte in einer Kiste weiter leise vor sich hin.

Doch nichts geschah. “Wie, das ist alles? Kein überraschendes Feuerwerk, keine ausgeklügelte Präsentation und keine Sensationsenthüllung deines Meisterwerks?”, fragte ich schließlich, als Qual nach wie vor nicht den Anschein machte, noch irgendetwas aus den Ärmeln zu schütteln. “Nichts kam über die Beta-Version hinaus. Meistens gab es nicht mal ein richtiges Alpha oder dergleichen”, stellte er resigniert fest. Ich ignorierte seine Antwort: “Wo ist es? Ist es unsichtbar, laufe ich gleich dagegen? Tarnkappenmodus?” Meine Hände fuchtelten auf der Suche nach was auch immer im leeren Schuppen herum, bis auf eine fette Fliege, die erbost davonbrummte, erwischten sie nichts. “Etwas zu erfinden ist gar nicht so leicht. Eigentlich gibt es schon alles, was man braucht. Jetzt kommen größtenteils nur noch Verbesserungen heraus”, erklärte Qual, “ich habe versagt.” Mitleidig sah ich ihn an. “Dann versuche nicht die Probleme der heutigen Zeit zu lösen, sondern erfinde etwas für die Zukunft. Bald gibt es bedeutend mehr Menschen der älteren Generation in unserer Gesellschaft, damit muss man doch etwas anfangen können.” “Du hast recht. 3D-Brillen mit integrierter und vor allem automatisch anpassender Sehhilfe, flugfähige Elektrorollstühle auf Photovoltaikbasis und in Kaustärke und -geschwindigkeit programmierbare Gebisse!”, strahlte Qual.