Ausnahmsweise verreiste ich im letzten Frühjahr für ein paar Tage ohne Qual. Ihn ganz allein in meiner Wohnung zu lassen, bescherte mir allerdings ein mehr als ungutes Gefühl. Zumal er sich auch noch um den Kater meiner für längere Zeit im Urlaub befindlichen Nachbarin kümmern musste, was ich vollkommen vergessen hatte.
Meine Sorgen kamen nicht von ungefähr, schließlich wusste ich, was beim letzten Mal geschehen war. Da hatte er es auf vielfache Weise geschafft, meine stoische Ruhe ins Wanken zu bringen. Um mich bei meiner Rückkehr zu überraschen, hatte er damals beschlossen, unsere Wohnzimmerwand kurzerhand im Alleingang neu anzustreichen. Als Farbe wählte er rosa, weil sie laut einem von ihm konsultierten Online-Ratgeber eine erfrischende Wirkung hat, die innere Ruhe fördert und Aggressionen abbaut.
Leider war es ihm zu müßig gewesen, die Schränke von der Wand zu schieben und alles richtig abzukleben, also malerte er einfach drum herum. Dabei tropfte er nicht nur sämtliche Oberflächen voll, sondern auch den Bildschirm unseres Plasmafernsehers. Beim Betrachten des Schlamassels muss er wohl kurz in Panik geraten sein; mit einem Metallschwamm hatte er anschließend probiert, die Farbspritzer zu beseitigen. Ganz nüchtern betrachtet, war ihm dieses Vorhaben immerhin gelungen. Dass Qual frei nach dem Motto „viel hilft viel“ zudem meine Wäsche zu heiß gewaschen hatte, die ich später komplett an einen Second-Hand-Shop für Kindermode weitergab, konnte mich dann nicht noch zusätzlich schocken. Wider seine Erwartung bin ich ihm nicht einmal großartig böse gewesen. Er hatte es ja in beiden Fällen gut gemeint. Erst später war mir bewusst geworden, dass die rosa Wandfarbe zu diesem Zeitpunkt bereits auf mein Gemüt gewirkt haben musste.
All das schwirrte mir jedenfalls durch den Kopf, als ich ihn erneut allein zu Hause wusste. Um bei meiner Ankunft zumindest nicht komplett aus allen Wolken zu fallen, versuchte ich durch zahlreiche Anrufe und diverse SMS, von Qual über etwaige Unfälle informiert zu werden. Doch weder ging er ans Telefon, noch antwortete er auf meine Nachrichten. Eine Tatsache, die mein ungutes Gefühl ins Unermessliche steigerte. Ein überschwemmtes Badezimmer, brennende Gärten, der Suizid der Nachbarskatze – so in etwa stellte ich mich auf einen Qual-Super-GAU ein.
Endlich wieder daheim, atmete ich zunächst tief durch. Das Haus stand noch und schien von außen keine sichtbaren Schäden zu haben. Im Treppenhaus roch es nicht verbrannt, nur nach Bratkartoffeln. Unsere Wohnungstür hing nicht schief in den Angeln und der Schlüssel passte einwandfrei. Sollte ich mich doch in Qual getäuscht haben?
Im Flur standen Staubsauger, Eimer und Wischmob. Tatsächlich glänzten sämtliche Zimmer wie neu gemacht. Meine Wäsche lag frisch gewaschen und fein säuberlich zusammengelegt auf dem Bett, diesmal anscheinend immer noch in der richtigen Größe. „Qual, bist du da?“, rief ich. Schon kam er herbei geschwebt. „Natürlich, wo soll ich sonst sein?“, fragte er patzig. „Ist irgendetwas vorgefallen?“, wollte ich betont unaufgeregt wissen. Qual lachte etwas übertrieben: „Was soll denn schon groß passiert sein?“ Damit gab ich mich vorerst zufrieden und wollte gerade meine Sachen auspacken, als mir etwas einfiel: „Ach, eins noch. Warum hast du mir nie geantwortet oder bist ans Telefon gegangen?“
Qual antwortete nicht, sondern flog schnurstracks Richtung Wohnzimmer. „Qual?“ Nun doch besorgt, folgte ich ihm. Im Wohnzimmer sah ich, was passiert war. Der Kater meiner Nachbarin, eigentlich ein schön anzusehender Perser, lag vollkommen ohne Behaarung in seinem Körbchen. „Ich dachte, dass er sich im Garten eine Zecke eingefangen hätte“, beantwortete Qual meinen fragenden Blick. „Dann habe ich mit dem Rasierer nach ihr gesucht, aber nichts gefunden. Bist du jetzt sauer?“ Bedächtig schüttelte ich den Kopf. „Ehrlich gesagt, habe ich sogar mit ganz anderen Dingen gerechnet. Bleibt nur zu hoffen, dass die Wandfarbe auch bei unserer Nachbarin wirkt.“
Stiltest: Charlotte Roche