Qual und der Pessimismus

„Das klappt garantiert nicht!“, sagte Qual in überzeugtem Ton. „Warum glaubst du das? Ein Versuch ist es doch Wert“, behauptete ich. „Versuch? Da haben wir es ja. Wissenschaftler führen Versuche durch. Aber das hier ist das wahre Leben! Wir haben keine fünfzig Testreihen und ich bin nicht deine Laborratte. Der Schuss muss sitzen.“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß, worum es geht. Allerdings: Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ „Es ist kein Kampf, wenn von vornherein feststeht, wer geschlagen wird“, monierte Qual, „da kannst du auch gleich als Einradfahrer an der Tour de France teilnehmen!“ Seine Schwarzseherei nervte mich: „Werde ich! Auf die Bergetappen freue ich mich ganz besonders! Wenigstens merke ich dann, dass ich noch lebe und kein übervorsichtiger Angsthase geworden bin, der immer schön die Löffel einzieht!“

Jetzt war er in Rage: „Was hat das mit leben zu tun, wenn du dich in deinem Wahnsinn grinsend dem eigenen Verderben entgegen stürzt?“ Ich holte tief Luft. „Wahnsinn? Das ist Sparta!“ Qual war verwirrt: „Was?“ Ich erklärte: „Was wäre wohl passiert, wenn Leonidas mit seinen Mannen so gehandelt hätte wie du jetzt? Er hätte sich nicht der persischen Übermacht gestellt und wäre später gnadenlos niedergemetzelt worden.“

„Aber er ist doch auch so gestorben“, lenkte Qual ein. „Schon klar. Doch so konnte er wenigstens Zeit gewinnen und ist für ein höheres Ziel umgekommen. Es geht ums Prinzip.“ Qual war nach wie vor skeptisch. „Aha. Gehen wir mal davon aus, dass unsere Aktion hier gründlich misslingt. Wofür wird diese im Nachhinein also gut gewesen sein?“ „Dann haben wir wenigstens daraus gelernt. Lebenserfahrung nennt man das.“ Nun war er immerhin amüsiert. „Gute Güte. Wenn nur jeder Homo erectus vor zwei Millionen Jahren so eine Li-La-Launebär-Einstellung wie du gehabt hätte, müsste ich mir heute nicht so ein Gerede anhören.“ „Was hat das jetzt mit dem Homo erectus zu tun?“, fragte ich irritiert.

Qual zeterte: „Ganz einfach: Pessimisten leben länger! Das ist laut Studien sogar heute noch so. Während also dein zigfacher Urgroßvater leichtsinnig aufs offene Feld hinauslief, dabei freudig herumhüpfte und womöglich noch so etwas wie den Ur-Popsong pfiff, hielt sich der Säbelzahntiger im hohen Gras in freudiger Erwartung schon den Bauch. Mit dieser Lebenseinstellung wäre der Mensch schlicht ausgestorben.“ „Und dein menschliches Ur-Pendant hätte sich artig in der Höhle versteckt, oder was? Pah, dafür ist Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Urx-Großvater Egon wenigstens mit einem Lächeln auf dem Gesicht gestorben!“ „Dein Ur-hoch-sonstwas-Großvater war nichts weiter als eine absolute Evolutionsbremse!“, entgegnete Qual trotzig.

Mein Gesicht wurde rot vor Wut. „Mag sein. Aber lieber habe ich ein glückliches kurzes Leben, als ständig Vorsicht walten zu lassen und auf rudimentäre Instinkte zu hören!“ Zum Croupier am Roulette-Tisch gewandt, sagte ich: „Alles auf Rot!“ Er nickte und warf die Kugel. „Rien ne va plus, nichts geht mehr.“ Das Rädchen wurde immer langsamer, die Kugel tanzte von Feld zu Feld und blieb schließlich liegen. „Schwarz gewinnt“, ließ der Croupier verlauten. Qual schaute mich entrüstet an. „Naja“, versuchte ich, das Beste aus der Situation zu machen, „zum Glück gibt es heutzutage keine Säbelzahntiger mehr.“

Stiltest: Peter Handke

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