Neulich kam ich nach einem sehr langen Tag besonders hungrig nach Hause. Aus diversen Gründen hatte ich es schon eine Weile nicht mehr geschafft, einkaufen zu gehen, und auch an diesem Abend waren alle Supermärkte in der Umgebung bereits geschlossen. Beim bloßen Gedanken an unseren leeren Kühlschrank fing mein Magen bereits wie wild an zu grummeln. Normalerweise würde man in solchen Situationen wohl auf eine Imbissbude zurückgreifen, doch in meinem Fall war das keine wirkliche Option.
Die einzige Bude, die zu diesem Zeitpunkt noch offen hatte, war für ihre unkonventionelle Hygiene berühmt und berüchtigt. Einmal sah ich, wie der Besitzer ein Rudel Schmeißfliegen mit einem feinmaschigen Pommes-Sieb kescherte und erbarmungslos in die Fritteuse tauchte. Ein Dr. Dolittle wäre wahrscheinlich wahnsinnig geworden, hätte er die Schmerzensschreie der sich langsam im Fett auflösenden Fliegen hören müssen. Was der Kollege des Besitzers damals mit einem anerkennenden Nicken abtat, löste bei mir eher Würgereflexe aus. Zumal keine Anstalten gemacht wurden, das Sieb zeitnah auszutauschen oder zumindest zu reinigen. Im Gegenteil: Die nächsten drei Portionen Pommes wurden sogar mit fünfzig Cent Aufpreis verkauft, da laut dem flugs per Edding geänderten Menü eine für kurze Zeit neue und exotische Würzmischung angeboten wurde.
So beschloss ich, für den Restabend lieber ohne feste Nahrung auszukommen. In unserer Wohnung angekommen, suchte ich zunächst nach Qual. Ohne ihn gefunden zu haben, glaubte ich plötzlich abwechselnd den Geruch von allerlei Köstlichkeiten – wie einer Chinapfanne, einer Pizza und eines Döners mit Schafskäse – wahrzunehmen. Ziemlich sicher, dass es sich dabei um eine olfaktorische Halluzination handeln würde, maß ich diesem Umstand keine große Bedeutung bei. Schließlich neigt die menschliche Psyche stets dazu, genau das haben zu wollen, was sie nicht bekommen kann.
Da Qual nirgends sonst zu finden war, ging ich schließlich auch in die Küche. Dort sah ich ihn. Er hantierte auf unserem roten Küchentisch mit mehreren kleinen Dingen herum. Um ihn herum lagen: eine Chinapfanne, eine Pizza Salami und ein Döner mit Schafskäse. Mir lief sturzbachartig das Wasser im Mund zusammen. „Nabend“, sagte ich, auf das Essen starrend. „Nabend“, antwortete Qual beschäftigt. Nun sah ich genauer hin. Auf einer kleinen Bambusmatte hatte er Seetang und Reis abgelegt. Allerdings auch etwas vom Döner. Gekonnt rollte er das Ganze zu mehreren Sushi-Happen zusammen. Mit dem Unterschied, dass sich im Inneren der Rollen kein Fisch oder Avocado befand, sondern Dönerfleisch. „Was soll das werden?“, fragte ich interessiert. „Eine Explosion des Geschmacks“, erwiderte Qual, nach wie vor konzentriert, „ich nenne es Mashup-Sushi, oder trendiger: Mashi. Es vereint die Vorzüge aller denkbaren Gaumenschmäuse zu einer ultimativen Mischung. Ideal für jeden, der sich bei der Wahl seiner Mahlzeit nicht für eine kulinarische Richtung entscheiden will.“ Skeptisch schaute ich mir seine bisherigen Ergebnisse an. „Und das soll den Leuten gefallen?“ Qual nickte bedächtig. „Es wird einschlagen. Hier, probiere bitte. Türkiatische Küche“, frohlockte er und reichte mir eine Sushi-Rolle mit Dönerfleisch und Chinanudeln.
Wider Erwarten schmeckte es fabelhaft. Genüsslich leckte ich mir nach dem Verzehr die Finger. Qual grinste zufrieden. „Das Beste daran ist, dass man das Prinzip beliebig variieren kann. Sushi mit Eisbein, Sushi mit Quark und Leinöl … ein wahrer melting pot des Geschmacks!“
„Was hast du noch?“, wollte ich nun, im wahrsten Sinne des Wortes angefüttert, wissen. Qual zeigte auf einen vollen Teller auf dem Herd. Hemmungslos verspeiste ich Rolle um Rolle, während Qual mir weiter sein Geschäftsprinzip erklärte. „Für die Massenproduktion müsste man natürlich so viele Speisen wie möglich selbst herstellen. Im Gegensatz zum Döner kann man Pommes zum Beispiel genauso gut zu Hause machen, statt sie an der Imbissbude zu kaufen. Es wird ja doch alles teurer. Stell’ dir vor: Für die Pommes in dem Sushi, das du gerade isst, musste ich vorhin sogar fünfzig Cent mehr als sonst bezahlen!“
Stiltest: Melinda Nadj Abonji