Qual, der schon vor Jahren ein Faible für beinahe historische 16-Bit-Spielekonsolen entwickelt hatte, stieß eines Tages im Supermarkt an der überfüllten Pinnwand mit den privaten Verkaufsanzeigen auf ein verlockendes Angebot. Der Besitzer war bereit sein Gerät (ein gut erhaltenes Super Nintendo Entertainment System) zu verschenken, falls man ihn in einer Best-of-Five-Serie in Super Mario Kart schlagen sollte. Da Qual schlecht alleine zu diesem ungewöhnlichen Duell antreten konnte, ging ich gezwungenermaßen als eine Art Strohmann mit.
Die Wohnung des Anbieters befand sich im sechsten Stock eines alten Marzahner Plattenbaus, der von einem halben Dutzend weiterer Plattenbauten umzingelt war. Schon beim Betreten des Blocks spürte ich die nahezu urige Atmosphäre dieses Viertels. Der Rauputz an den Wänden hatte anscheinend schon zu viele Umzüge seiner Bewohner miterlebt. Zahlreiche tiefe Kerben auf Hüfthöhe dokumentierten die Auswirkungen männlicher Willenskraft auf unnachgiebige Baustoffe, die beim nervenzehrenden Möbeltransport nun mal weder weichen können noch wollen.
Da ein älteres Ehepaar ihren Großeinkauf mit dem vorhandenen Lift nach oben brachte, zogen wir es vor zu laufen. Im gesamten Treppenhaus schien es kräftig nach Bratkartoffeln zu riechen. Ohnehin erhärtete sich bei mir der Verdacht, dass Bratkartoffeln für die Bewohner eines Hochhauses das sind, was Tomatensaft für Fluggäste ist. Etage für Etage amüsierten wir uns immer köstlicher über die äußerst kreativen Sprüche und Motive auf den Fußmatten vor den Türen. Hier wohnen Zucht und Ordnung! stand auf einer, Ob du wirklich richtig stehst, siehst du, wenn die Tür aufgeht! auf einer anderen. „Fußmatten sind die Visitenkarten des kleinen Mannes“, meinte Qual um eine Erkenntnis reicher zu mir.
Endlich angekommen, öffnete uns ein freundlicher Herr die Tür. Er trug eine ausgewaschene Jeans-Weste, eine bunte Adidas-Jogginghose aus den neunziger Jahren und ein Basecap mit dem Logo der New York Yankees. Er konnte es kaum erwarten gegen mich respektive Qual zu spielen, daher ging es sogleich in die Vollen. Ich tat, als würde ich den Controller bedienen, dabei hielt ich ihn nur in den Händen und bewegte meine Finger unkoordiniert von Knopf zu Knopf. Den Rest erledigte Qual. Der arme Mann hatte keine Chance und verlor glatt mit 0:3, schien aber dennoch überglücklich zu sein, endlich mit jemandem gespielt zu haben.
Mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht ging Qual voraus. Da der Fahrstuhl gerade zufällig in unserer Etage hielt, stiegen wir ein. Ich drückte auf den Knopf für das Erdgeschoss und las mir die Informationsschilder durch. „Schau mal, der ist von 1985, ein echter TAKRAF-Aufzug aus DDR-Zeiten“, frohlockte mein Begleiter. „So sieht er allerdings auch aus“, antwortete ich mit Blick auf die leidlich polierte Holzvertäfelung. Mit einem Mal flackerte das Licht, der Fahrstuhl begann unter lautem mechanischen Ächzen zu ruckeln und stoppte schließlich ganz.
Ich seufzte. „Hast du auch manchmal das Gefühl, dass der Mensch zu abhängig von der Technik werden könnte?“ „Bereits ist“, nickte Qual, „bereits ist.“ Statt über einen Knopf mit einem Klingel-Symbol, verfügte unser Aufzug sogar noch über einen Hörer. Ich wählte. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine männliche Stimme: „Tach. Wat jibt’s?“ „Hallo. Wir sind im Fahrstuhl stecken geblieben“, sagte ich. Die männliche Stimme antwortete: „Wat machtan so wat? Jut, kommt gleich eener. Halbe Stunde.“ „Die könnten ruhig Mar’zahn zulegen“, forderte Qual genervt.
Fortsetzung folgt…
Stiltest: Alexa Hennig von Lange