Qual und das Knicklicht

Kürzlich gingen Qual und ich auf der Suche nach einem neuen Regal für meine zahlreichen Filme im Blu-ray-Format in diverse Elektronikfachmärkte. Während ich nach einem passenden Modell schaute, das möglichst vielen Hüllen Platz bot, sinnierte Qual über die seiner Meinung nach vorherrschenden dunklen Machenschaften der Unterhaltungsindustrie. „Ich sage dir, dass das wieder mal ein gewiefter Schachzug der Hersteller ist. Beim armen Kunden wird auf besonders hinterhältige Weise Bedarf geweckt.“

Ich griff nach einem einfachen Standregal mit fünfzig Slots. „Und wie wird das gemacht?“, fragte ich interessiert. „Das ist jetzt nur eins von vielen Beispielen, aber das Prinzip lässt sich auf mehrere Bereiche übertragen. Die Frage ist doch, warum sich die Größe der Hüllen für Blu-rays von der für klassische DVDs unterscheidet, wenn doch die jeweiligen Discs sogar dieselben Maße haben.“ Ich dachte nach. „Damit sie edler wirken und kompakter beziehungsweise sich generell vom Vorgängerformat abgrenzen?“

Qual nickte bedächtig. „Das ist sogar noch ein weiterer Aspekt in der schier endlosen Palette der Marketingtricks. Worauf ich hinaus will, ist aber die Tatsache, dass viele potenzielle Käufer wie deine Wenigkeit durch das simple Abändern der Hüllenart geradezu gezwungen werden neue Regale zu erstehen. Mit einer einzigen Änderung lassen sich ganze Produktzweige völlig neu vermarkten. Der Bedarf wird demnach künstlich stimuliert.“ Ich betrachtete das Standregal in meinen Händen. „Irgendwo hast du ja Recht. Eigentlich haben wir noch ein erst halbvolles DVD-Regal zu Hause. Da passen die Blu-rays aber nicht rein …“

Triumphierend sah Qual mich an. „Siehst du! Die Filmindustrie und die holzverarbeitenden Betriebe haben sicher eine Art langfristige Kooperation, um Leute wie dich nach Strich und Faden auszunehmen wie eine überdimensionierte Weihnachtsgans.“ Meinen kümmerlichen Kontostand vor dem geistigen Auge wandte ich mich geschockt an Qual: „Und was machen wir jetzt?“ Irritiert sah er mich an. „Was willst du jetzt von mir hören? Du wirst das Ding trotzdem kaufen. Es sei denn, du schaffst es wider Erwarten mit deinen zwei linken Händen selbst etwas zu zimmern. Zwischen den Mühlrädern der Wirtschaft bleibt der Kunde solange ein Korn, das gemahlen wird, bis man selbst zu Staub zerfällt. Es heißt zwar immer, der Kunde ist König, aber das Sagen hat eigentlich der Hofnarr, der uns heimlich die lange Nase zeigt und dabei Taler für Taler aus der Schatzkammer fischt.“ Konsterniert bezahlte ich an der Kasse und ging mit Qual nach Hause.

Am nächsten Morgen ging ich verschlafen durch die Küche. Als ich aus dem Fenster schauen wollte, wurde mir die Sicht durch ein davorstehendes Whiteboard versperrt. Auf diesem waren allerhand wirtschaftliche Kenngrößen und Skizzen zu sehen. Qual schwebte herein, ein Brillengestell ohne Gläser tragend und mit einem Abakus in der rechten Flosse. „Was wird das?“, wollte ich überrascht wissen. „Setze dich doch“, bat er mich, „ich muss dir etwas zeigen.“ Ich nahm Platz und beobachtete Qual, der noch kurz ein paar Kugeln am Abakus verschob und dabei unverständlich vor sich hin murmelte.

Schließlich begann er: „Liebe Investoren …“ „Wie bitte?!“, unterbrach ich ihn. „Zu den Fragen kommen wir später. Ich möchte Ihnen heute voller Stolz unsere neuesten Produkte präsentieren, deren Entwicklung Sie durch Ihr Kapital erst möglich machen.“ Ich fing an zu husten. „Qual! Was wird das?“ „Du kannst auch nicht ein einziges Mal mitspielen, was?“, ächzte er. „Nun gut“, fuhr Qual fort, „ich habe gestern noch nachgedacht. Die moderne Wirtschaft ist toll. Wir müssen nur eine gute Idee umsetzen, dann haben wir ausgesorgt. Heutzutage kannst du doch jeden Scheiß gewinnbringend verkaufen. Ich nenne dir meine Ideen und du sagst mir, was du davon hältst. Bereit?“ „Meinetwegen“, stöhnte ich.

Mit einem breiten Grinsen zeigte er auf eine Skizze am Board und erklärte: „Das Knickknacklicht: Schluss mit banalen Socken an der Türklinke! Mit diesem handelsüblichen Knicklicht zu einem überteuerten Preis signalisiert man der Umwelt stilvoll und doch dezent, was gerade im Zimmer abgeht. Der Vorteil: Warnt im Gegensatz zur Socke dank der Leuchtfunktion (leuchtet bis zu vier Stunden und damit nicht länger als nötig) die Mitbewohner auch im Dunkeln und verströmt nach dem Knicken einen angenehmen Moschusgeruch. So haben alle etwas davon! Das Knickknacklicht! Einmal knicken und dann in Ruhe f*****!“

Wortlos verließ ich die Küche.

Stiltest: Melinda Nadj Abonji

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