Qual und das Bewerbungsgespräch

„Der Trick bei Bewerbungsgesprächen ist, dass du möglichst interessant wirken musst. Halte dir immer vor Augen, dass nichts an dir gewöhnlich ist, und sei auf jeden Fall selbstbewusst!“, riet mir Qual. Im Eiltempo zogen wir an massigen Menschen und Menschenmassen vorbei. Hoffnungslos verspätet hetzten wir zu meinem wichtigen Termin. „Aber wenn der Typ total seriös … “, begann ich gerade, als sich mein rechter Fuß plötzlich so anfühlte, als wäre er in etwas versunken. Wahrscheinlich, weil er wirklich versunken war. „Ach du Scheiße!“, entwich es mir beim Anblick des kapitalen Hundehaufens, dessen fragile Struktur ich soeben gewaltsam mit meinem Stoffschuh durchbrochen hatte, „was mach ich denn jetzt?“

Qual und das Bewerbungsgespräch

Bild: Carolin Rauh

Qual betrachtete mein unappetitliches Malheur und dachte nach. „Warum werden Exkremente eigentlich nie gesiezt? Oder Gott? Immer heißt es ach du großer Gott oder ach du lieber Himmel. Würde ich an den Schöpfer glauben, wäre mir entschuldigen Sie, sehr geehrter Gott als höfliche Anrede …“ „Qual!“, unterbrach ich seinen Gedankengang verzweifelt. „Ist ja gut“, besänftige er mich, „zieh die Schuhe doch einfach aus.“ Fragend sah ich ihn an. „Ja nun mach schon. Deine Käsefüße sind zwar auch kein olfaktorischer Hochgenuss, aber immer noch besser als Hunde-Aa.“

Barfuß setzten wir also unseren Weg fort. Ich fühlte mich wie ein Hobbit. Am Ziel angekommen, konnten wir ein wenig verschnaufen, da der Personaler, der für mich zuständig war, selbst zu spät war, sodass unsere Unpünktlichkeit glücklicherweise keine Konsequenzen hatte. Seine Sekretärin bat uns in seinem Büro Platz zu nehmen und dort auf ihn zu warten. „Der Herr Scholz ist gleich für Sie da, er ist schon unterwegs“, sagte sie mit betont freundlicher Stimme, die mich irgendwie an meine Lieblingskindergärtnerin mit der besonderen Erzählweise erinnerte. Gerade wollte ich sie fragen, ob sie mir bis zur Ankunft von Herr Scholz vielleicht ein Grimmsches Märchen vortragen könnte, als ich mich eines Besseren besann. „Wird aber auch Zeit“, blaffte ich stattdessen gespielt großspurig und wies mit einer mahnenden Geste auf die Uhr über der Eingangstür. Die nette Dame wusste nicht, wie sie auf eine solche zur Schau gestellte Dominanz reagieren sollte und lächelte einfach weiter.

Ein bisschen ärgerte ich mich über meine Entscheidung, ein Märchen wäre zu diesem Zeitpunkt echt schön gewesen. Aber für den Moment war es wichtiger Stärke zu demonstrieren, da meine Autorität aufgrund des fehlenden Schuhwerks ohnehin schon eingeschränkt war, und das ist mit einer Bitte nach Dornröschen oder Rotkäppchen nun mal eher schwierig zu erreichen. Im Scholzschen Büro setzte ich mich in einen großen schwarzen Ledersessel, der selbst dann quietschte, wenn man absolut still auf ihm saß. Doch ich rutschte eh unruhig wie die Prinzessin auf der Erbse hin und her. So aufgeregt war ich das letzte Mal, als die Kelly Family als Hauptact unseres Stadtfests aufgetreten war. Dabei ist Stadtfest für mein Heimatkaff noch sehr schmeichelhaft ausgedrückt, Provinzgelage trifft es eher. Was auch erklärt, warum man als Jugendlicher dort alles toll fand, was nicht aus dem näheren Umkreis kam und den Weg in unser beschauliches Nest gefunden hatte. Qual sah sich derweil die Kopien berühmter Kunstwerke im Raum an.

Endlich traf Herr Scholz ein. Mit übereinandergeschlagenen Beinen warf ich ihm einen tadelnden Blick zu und tippte dabei mehrmals hörbar auf das Ziffernblatt meiner Armbanduhr. „Verzeihung, die Bahn, die Bahn …“, entschuldigte er sich leicht außer Atem und legte hastig seine Garderobe ab. Dann sah er entgeistert in meine Richtung. Herr Scholz blickte dabei allerdings nicht auf mich oder meine Uhr, sondern auf meine bereits leicht verdreckten Fersen. „Sie haben ja gar keine Schuhe an?!“ Da ich mir nicht sicher war, ob er das als Frage oder Feststellung formuliert hatte, nickte ich einfach stumm. „Was soll das?“, wurde er deutlicher. Qual sah mich auffordernd an. „Ich demonstriere damit meinen Unmut gegenüber den vorherrschenden Verhältnissen,“ improvisierte ich seinen Rat befolgend.

„Welche Verhältnisse? Und warum barfuß?“ „Das ist meine Form des Protests, der Mensch braucht wieder mehr Bodenhaftung“, erklärte ich, „es ist doch so: Warum ist man mit Gott per du? Oder mit Kacke? Will man höflich sein und die nötige Distanz wahren, sollte es doch heißen ach Sie Scheiße.“ Qual grinste diebisch. „Warum erzählen Sie mir solche Märchen?“, wollte Herr Scholz gleichermaßen irritiert wie aufgebracht wissen. „Das frage ich mich allerdings auch“, antwortete ich umgehend und richtete mich im Sessel auf, „ich bin ebenfalls der Meinung, dass das Ihre Sekretärin viel besser könnte!“

Herr Scholz’ Kopf präsentierte mir anschaulich, zu welchen Rottönen die menschliche Haut fähig ist, ehe mich sein ebenfalls am Haupt befestigter Mund lautstark zum Gehen aufforderte. So langsam erinnerte mich Herr Scholz an das Rumpelstilzchen. „Bist du jetzt arg enttäuscht?“, wollte Qual vorsichtig von mir wissen, nachdem wir nach draußen gegangen waren. „Ach nein, gar nicht“, beruhigte ich ihn, während wir gemächlich zum Bahnhof schlenderten, „denn wie sagte schon einst Fußballgott Andreas Brehme? Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß.“

Stiltest: Alexa Hennig von Lange

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