Qual und die Zombies

Während es draußen auf das Heftigste gewitterte, schauten Qual und ich in unserem Wohnzimmer I am Legend mit Will Smith. Zur trostlosen Atmosphäre des Films gesellten sich abwechselnd der peitschende Regen und der pfeifende Wind, die unnachgiebig unser Haus bearbeiteten. Auf das Können des Architekten unserer vier Wände vertrauend, fühlten wir uns ziemlich sicher. Dennoch konnten wir unseren Kinoabend nicht so recht genießen, da die Geräuschkulisse des Unwetters alsbald überhand nahm. Statt die Lautstärke des Fernsehers weiter zu erhöhen, stellten wir uns daher ans Wohnzimmerfenster und beobachteten ehrfürchtig das Treiben der Naturgewalt.

Der seit Stunden anhaltende Niederschlag hatte bereits fast die ganze Straße überschwemmt. Überall sah man abgebrochene Äste und erst kürzlich eingepflanzte Jungbäume lagen wie von Riesen achtlos hingeworfen auf dem Gehweg. Die wenigen Passanten, die noch unterwegs waren, beeilten sich ihr Auto oder ihr zu Hause zu erreichen. Der Regenschirm einer älteren Dame wehrte sich vergeblich gegen die vehement zu Werke gehenden Sturmböen und knickte schließlich gleich an mehreren Stellen ein. Ohne zu zögern, warf sie ihn einfach weg und nahm die Beine in die Hand. Ein Blick in die Ferne versprach nichts Gutes, vielmehr schien der Himmel nicht nur aufgrund der einbrechenden Dämmerung immer dunkler zu werden. Wir zuckten zusammen, als plötzlich etwas Großes an unserem Fenster vorbeiflog. „War das die Nachbarskatze?“, fragte Qual ungläubig.

Kurz darauf fiel der Strom aus. Ich seufzte. Von der Straße ertönten die ersten Sirenen. Zunächst konnte man nur zwei unterscheiden, einige Minuten später schienen überall Einsatzfahrzeuge unterwegs zu sein. Die vorbeifahrenden Feuerwehren fluteten unser Wohnzimmer mehrmals mit einem gespenstisch flackernden, blauen Leuchten. Immerhin konnte ich so jeweils für einen kleinen Moment den Weg zum Flurschrank besser finden, trotzdem stieß ich im Dunkeln schmerzhaft mit meinem Knie gegen eine flache Tischkante. Humpelnd und fluchend ging ich weiter, während Qual regungslos die Szenerie betrachtete.

Am Schrank angekommen, kramte ich Fach für Fach nach unserer Taschenlampe. Im letzten wurde ich endlich fündig. Ich schaltete sie ein, doch nichts passierte. Ein kontrollierender Blick verschaffte mir Gewissheit: Die Batterien fehlten. Qual kam herbei und sah mich mit der Taschenlampe in der Hand an. „Die Batterien habe ich für unseren Game Boy gebraucht. Die sind inzwischen aber auch alle“, gestand er. „Na toll“, grummelte ich, „haben wir irgendwo noch Kerzen?“

Zehn Minuten später hockten wir neben den drei letzten Teelichtern, die wir in unserer Wohnung noch auftreiben konnten. Draußen war der Akustik nach zu urteilen nach wie vor die Hölle los. „Da entwickelt die Menschheit ein Abwassersystem, Stromnetze und Kabelfernsehen und trotzdem fühlt man sich mitunter hilflos“, grübelte ich. „Gegen die Natur könnt eben nicht mal ihr etwas machen“, meinte Qual zustimmend, „irgendwie beruhigend.“ „In solchen Situationen fühle ich mich wieder wie ein winziger Popel im Zahnrad des Universums. Machtlos wie eine Ameise, die von einem Kinderschuh zerdrückt wird.“ Statt zu antworten, nickte Qual nur stumm.

„Dabei muss es nicht mal ein Erdbeben oder ein Vulkanausbruch sein, der uns platt macht. Lass es ein neuer Erreger sein, ein unbekannter Virus. Zack, das war’s. Homo sapiens Ende. Ohne Vorwarnung. Einfach bumm. Aus. Vorbei.“ Qual lachte: „Hast du zu viele Zombie-Filme gesehen, dass du dich nun derart vor einer lebensbedrohlichen Pandemie fürchtest?“ Ich schüttelte den Kopf. „Das mein ich ja nur so. Die Menschheit hat am Aussterben so vieler Spezies Schuld, da wäre es nur fair, wenn es uns selbst eines Tages trifft.“ „Und dann sind wir beide die letzten Überlebenden? Wie bei I am Legend?“, hakte er nach. „Fast. Dann habe ich eben keinen Hund, sondern einen Geisterwal bei mir“, schmunzelte ich.

„Eine Frage habe ich dann aber an dich“, fuhr ich fort, „wenn ich auf irgendeine Weise mit einem tödlichen Virus infiziert werden sollte und es klar wäre, dass ich nicht durchkomme, sondern mich vielmehr noch in einen ekelhaften Untoten verwandele: Würdest du mich töten?“ „Natürlich, ohne zu zucken“, sagte Qual sofort. „Ernsthaft?“, erwiderte ich etwas erschrocken über Quals kühle Antwort. „Ja klar“, sprach er, „du weißt doch: Guten Freunden gibt man ein Schüsschen.“

Stiltest: Melinda Nadj Abonji

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