Qual und die Disco

“Kannst du mir bitte nochmals erklären, warum genau wir hier sind?”, erkundigte sich Qual gelangweilt. “MAKE SOME NOISE!”, forderte uns der DJ auf. “Wir feiern den Geburtstag von zwei Freunden. Entspann dich, es wird schon noch witzig!” Meine Überzeugungskraft schwand an diesem Abend proportional zum konsumierten Alkohol. Qual hörte daher leider nicht auf zu nörgeln: “Versteh mich nicht falsch, aber wer freiwillig eine Geruchsmischung bestehend aus Schweiß, Zigarettenqualm und verkipptem Alkohol in der Nase erträgt und sich dabei nicht im Nachtbus nach Hause befindet, hat doch offensichtlich eine absurd niedrige Ekelschwelle. Und die Toiletten waren in der Rechnung noch gar nicht dabei!” “RE RE RE REMIX!”, tönte es vom Pult.

“Ach komm! Selbst wenn es hier nach Miesmuscheln und Krabbencocktails riechen würde, könntest du dich doch nicht für den Laden begeistern! Was ist dein Problem?” Qual verzog schnippisch das Gesicht. “Ich habe kein Problem, aber Geisterwale sind hier wahrscheinlich einfach nicht das Zielpublikum. Hier vergnügen sich nur wandelnde Testosteron-Haufen auf der Suche nach Kopulationspartnern. Mitteleuropäische Stockenten wechseln zur Balz extra in ihr so genanntes Prachtkleid. Hier zeigen sich Frauen beeindruckt, wenn sich Männer aus Leuchtstäben Brillen und Ketten bauen. Und der Bass! Im Grunde muss sich nicht mal jemand bewegen, die Vibration lässt alle Beteiligten von allein auf und ab hüpfen.” “PUT YOUR HANDS UP FOR DETROIT!” Jetzt reichte es ihm: “Ich habe Flossen du Arsch!”

Qual und die Nebenjobs I

Um unseren klammen Geldbeutel ein wenig aufzubessern, suchten Qual und ich in Inseraten nach passenden Nebenjobs für mich. “Du könntest doch Babysitter werden”, schlug Qual schließlich vor. “Du arbeitest eh am liebsten von zu Hause aus. Ist zwar in dem Fall nicht deins, aber immer noch besser als ein steriles Büro. Außerdem ist das sicherlich mal gut für dein Ego, wenn du in einem Gespräch ausnahmsweise nicht intellektuell unterlegen bist. Was sagst du?” Qual tippte mit erwartungsvollem Blick auf die Anzeige.

Betreuung für 2 Kinder im Schulalter: Wir suchen für unsere Kinder (Sohn Erwin (8) und Tochter Felicitas (6)) einen netten Aufpasser, gerne auch älter, der sich diese Aufgabe zutraut.

“Unterschätze bitte kleine Kinder nicht. Das hat man mit den Halblingen in Mittelerde auch gemacht. Am Ende haben die Hobbits dann allerdings den Ring zerstört”, gab ich zu bedenken. “Und der Begriff “Aufpasser” schreckt mich hier sowieso ab. Wer schreibt denn Aufpasser? Klingt ja schon fast wie Wärter. Ich sage dir, dass das mit Sicherheit keine normalen Dreikäsehochs sind.” Qual fing lauthals an zu lachen. “Hast du Angst vor Minimenschen? Was sollten die dir denn tun können?” Mit erhobenem Zeigefinder mahnte ich: “Mag sein, dass sie im offenen Kampf mit mir chancenlos sind. Doch sie sind in der Überzahl und bewegen sich auf gewohntem Terrain. Das ist ein Heimspiel für die, ein entscheidender Vorteil.” Mit besorgter Miene beschwichtigte mich Qual: “Geh mal doch lieber Zeitungen austragen…”

Qual und die Langeweile

An einem gewöhnlichen Tag bei gewöhnlichem Wetter saßen wir ungewöhnlich still in der Wohnung. Die Sonne konnte sich nicht wirklich zum Scheinen entscheiden, aber total bewölkt war es auch nicht. Im Fernsehen lief die x-te Variante von Scripted Reality. Schon wieder. Oder immer noch? Ein Bauer im Brennpunkt hatte seine Frau getauscht, wusste aber nicht mehr mit wem, geschweige denn wogegen. Haben die Autohändler etwas damit zu tun? Ein Fall für die Schulermittler und die Kommissare von K11.

“Das Daewoo K11 ist das Gewehr des südkoreanischen Militärs”, warf Qual ein Mosaikstückchen seines scheinbar grenzenlosen Wissens in die Runde. Ich nickte anerkennend, konnte mich aber nicht wie sonst für seine ihm eigene Didaktik begeistern. Nicht einmal das Fremdschämen für das im TV gezeigte machte diesmal Spaß. “Mir ist langweilig”, klagte ich. “Dann bring den Müll runter”, schlug Qual postwendend vor. Ich betrachtete die übergequollenen Eimer und die vielen Tüten. “Das ist aber auch langweilig.” Nach Heidegger gibt es drei Phasen der Langeweile, ich fühlte mich in allen omnipräsent. Ich schaute erneut auf den Müll. “Sage mal, hast du den Müll getrennt und dann nach Farben sortiert?” “Naja…mir war langweilig.”

Qual und die Angst

Wir saßen vor dem Fernseher und trugen unseren üblichen Wettbewerb aus – Wer zuckt, verliert! Dazu reihten wir die besten Streifen von George Andrew Romero und sonstige Filme, die ein “Dead” im Titel führten, vor dem DVD-Player auf und schauten sie uns nach und nach an. Bisher hatte Qual stets gewonnen, heute lag ich gut im Rennen. Bis er mich nach einer Zombie-scheint-endgültig-tot-zu-sein-ist-es-aber-doch-nicht-und-stellt-dies-mit-einem-gezielten-Biss-in-den-Hals-der gutaussehenden-Blondine-zur-Schau-was-den-endgültigen-Tod-der-Blondine-zur-Folge-hat-Szene mit Popcorn bewarf. Ich schrie peinlich laut, Qual grinste diebisch. “Kannst du dich überhaupt erschrecken?”, wollte ich gedemütigt wissen. “Wenn man tot ist, sieht man die Dinge entspannter. Abgesehen von deiner fehlenden Körperbeherrschung ist für mich also kaum etwas erschreckend”, erwiderte er, “dabei dürfte es euch eigentlich kaum anders gehen.” Ich rollte mit den Augen: “Was hat das jetzt wieder zu bedeuten?” Qual drückte auf Pause, im Standbild war der Zombie zu sehen, wie er sich mit den Eingeweiden der Blondine schmückte.

“Es ist doch so…der eigentliche Sinn des Angstgefühls, die Selbsterhaltung, ist bei euch Menschen doch kaum noch notwendig. In eurem Großstadtgehege kann im Vergleich zur Tierwelt nichts passieren. Ihr werdet höchstens von Kredithaien oder Baulöwen gefressen. Eure Angst hat sich transformiert, weg vom evolutionsbiologischen Hintergrund. Ihr sorgt euch meist nur, dass euer Idealbild von einem Leben in der Gesellschaft verfehlt wird. Ob nun in materieller oder sozialer Hinsicht. “Hoffentlich werde ich nicht gefeuert”, “Ich will nicht, dass mein Partner mich verlässt” oder “Bitte lass mich im Alter nicht fett werden”. Das, was bei Horrorfilmen zutage kommt, die Furcht vor starken Bildern, sind nur emotionale Rudimente aus der Zeit, als selbst der Mensch noch angreifbar war. Aber ihr entwickelt dafür in großem Maße Phobien, das ist beeindruckend. An sich gibt es nur zwei Arten von Angst: Bei der einen weiß man zu viel, bei der anderen zu wenig. Wenn ich mir überlege, wozu der Mensch in der Lage ist, dann habe vielleicht auch ich Angst…”